Zum Inhalt

Durchbruch im VW-Dieselskandal: OGH legt Mindestschadenersatz fest

Nach dem Obersten Gerichtshof steht Käufer:innen gegenüber VW Schadenersatz in Höhe von zumindest 5 % bis 15 % des Kaufpreises zu. Der OGH gibt damit eine Untergrenze vor, die auch bei bloß fahrlässiger Schädigung und unabhängig vom Eintritt eines Schadens gilt. Offen ist, wieviel höher die unionsrechtlich gebotene "angemessene" Entschädigung bei vorsätzlicher Schädigung ausfällt.

Im Anlassfall hatte der Kläger im April 2017 einen von VW produzierten Gebrauchtwagen um EUR 31.000 gekauft (Kilometerstand ca 94.500, Erstzulassung im September 2014). Das Fahrzeug ist mit einem 3.0 l-V6-Dieselmotor mit 150 kW/204 PS, Motortyp EA897 ausgestattet, bei dem nur zwischen 17 und 33 Grad Celsius eine volle Abgasrückführung erfolgt, weswegen eine nach Art 5 Abs 2 Typgenehmigungs-VO 715/2007/EG unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt. 

Der Käufer klagte VW aus dem Titel des Schadenersatzes auf Zahlung von 9.300 EUR (30 % des Kaufpreises) und auf Feststellung der Haftung für jeden zukünftigen Schaden.

Ersatzfähigkeit des Minderwerts

Bereits zuvor hatte der OGH entschieden, dass Käufer:innen gegenüber dem Hersteller Schadenersatz in Form der Zug-um-Zug-Rückabwicklung des Kaufvertrags verlangen können (10 Ob 2/23a). Dies schließt nach der vorliegenden Entscheidung die Geltendmachung eines Minderwerts des Fahrzeugs allerdings nicht aus. Selbst eine wahrheitsgemäße Aufklärung durch den Hersteller könnte an der objektiven Rechtswidrigkeit des Inverkehrbringens des Art 5 Typgenehmigungs-VO widersprechenden Fahrzeug nichts ändern, weil der Erwerber gegen den Hersteller einen Anspruch darauf hat, dass das Fahrzeug nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist.

Kein Kausalitätserfordernis

Dem Anspruch auf Ersatz des Minderwerts steht die Feststellung, dass der Kläger das Fahrzeug bei entsprechender Aufklärung über die Manipulation gar nicht erworben hätte, nicht entgegen, weil der (objektive) Schaden nach dem Unionsrecht bereits in der Unsicherheit hinsichtlich der eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs liegt.

Schaden trotz aufrechter Typengenehmigung

Der Schaden tritt bereits mit dem Erwerb des Fahrzeugs ein. Dass nach wie vor eine aufrechte Typengenehmigung vorliegt ist nicht von Relevanz. 

Schadenshöhe und Schadensschätzung

Für die Höhe des Schadenersatzes sind die unionsrechtlichen Anforderungen zu beachten, wonach die Sanktionen für Verstöße "wirksam, verhältnismäßig und abschreckend" sein müssen und nationale Vorschriften dem Erwerber die Erlangung eines angemessenen Schadenersatzes nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen. 

Nach dem OGH entspricht dies einem - vom Gericht nach § 273 Abs 1 ZPO in freier Überzeugung und ohne Einholung von Sachverständigengutachten festzulegenden - Betrag innerhalb einer Bandbreite von 5 % und 15 % des gezahlten Kaufpreises. Der OGH übernimmt damit ein vor kurzem ergangenes Urteil des deutschen Bundesgerichtshofes (BGH) vom 26.6.2023, der Betroffenen bereits bei fahrlässigem Einbau eines Thermofensters - auch wegen des gebotenen Abschreckungseffekts - 5 bis 15 % des Kaufpreises als sog "kleiner Schadenersatz" zugesprochen hatte. Dabei ist nach dem OGH ein allfälliges Parteivorbringen, dass Fahrzeuge auch nach Bekanntwerden des "Abgasskandals“ (insb am Gebrauchtwagenmarkt) zum gleichen Preis wie davor gehandelt wurden, bei der Ermittlung des Schadenersatzbetrags aufgrund der Vorgabe zur angemessenen Entschädigung ohne Bedeutung und somit auch kein Grund für die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Stehe das Nichtvorliegen eines Minderwerts dagegen fest, sei der zu zahlende Betrag "im unteren Bereich der Bandbreite festzusetzen". 

In Hinblick auf die Obergrenze von 15 % verweist der OGH die Käufer auf die Möglichkeit, anstelle des Minderwerts eine Rückabwicklung des Kaufs geltend zu machen. Bei dieser fällt - trotz Anrechnung eines linear zu berechnenden Benutzungsentgelts für die Fahrzeugnutzung im Wege des Vorteilsausgleichs und Rückgabe des Fahrzeugs - der ersatzfähige Betrag im Ergebnis in aller Regel höher aus. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die vorgegebene Obergrenze nur bei fahrlässiger Schädigung gelten dürfte, sodass der Schadenersatz bei vorsätzlicher Schädigung in Hinblick auf die ursprüngliche Manipulation höher ausfallen dürfte. 

Verschulden

Eine Haftung wegen einer Schutzgesetzverletzung setzt "Verschulden“ im Sinn (zumindest) einer vorzuwerfenden Sorgfaltswidrigkeit voraus, es kommt aber zu einer Beweislastumkehr: Der Schädiger hat nachzuweisen, dass ihn an der Übertretung kein "Verschulden“ trifft. Allfällige Negativfeststellungen gehen daher zu Lasten von VW.

Nach dem OGH ist die Rechtssache hinsichtlich des Verschuldens im konkreten Fall noch nicht spruchreif, weil Feststellungen in Hinblick auf den von VW vorgebrachten "entschuldbaren Rechtsirrtum" fehlen. 

In vorherigen Verfahren hatte der OGH bereits entschieden, dass aus dem "vagen" und "keinesfalls ausreichenden" Vorbringen von VW kein entschuldbarer Rechtsirrtum abgeleitet werden kann (3 Ob 121/23z) oder VW hatte überhaupt nur vorsätzliches Handeln in Abrede gestellt, sodass Fahrlässigkeit als zugestanden angesehen wurde (10 Ob 2/23a). 

Kein Feststellungsbegehren

Das Feststellungsbegehren in Hinblick auf die Haftung für zukünftige Schäden ist nach dem OGH nicht berechtigt, weil das Risiko des Entzugs der Zulassung bereits in die Bemessung des Schadenersatzes einfließt. Aufgrund der Entscheidung des Erwerbers, das Fahrzeug in seinem Vermögen zu behalten und den Ersatz des Minderwerts zu begehren, geht er das Risiko des - von ihm als möglich angesehenen - Zulassungsentzugs bewusst ein. Der Umstand, dass sich dieses Risiko in weiterer Folge verwirklicht, ist daher nicht zusätzlich zum dadurch geminderten Wert des Fahrzeugs bei Vertragsabschluss ersatzfähig, sondern damit bereits abgegolten. 

OGH 28.9.2023, 10 Ob 27/23b

Diesen Beitrag teilen

Facebook Twitter Drucken E-Mail

Das könnte auch interessant sein:

Gerichtlicher Unterlassungsvergleich mit MyTrip

Gerichtlicher Unterlassungsvergleich mit MyTrip

Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) hatte im Auftrag des Sozialministeriums MyTrip (OY SRG FINLAND AB) wegen unzulässiger Klauseln in den AGB geklagt, wobei 33 Klauseln, darunter unzulässige Gutscheinregelungen, Haftungsbeschränkungen, Bearbeitungs- und Servicegebühren beanstandet wurden. MyTrip ließ es nicht auf ein Urteil ankommen und erklärte sich zu einem gerichtlichen Unterlassungsvergleich bereit. Der Vergleich ist rechtskräftig.

Unzulässige Klauseln in AGB der „Hüttenpartner“ Alm-, Ski-, und Wanderhüttenvermietung GmbH

Unzulässige Klauseln in AGB der „Hüttenpartner“ Alm-, Ski-, und Wanderhüttenvermietung GmbH

Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) hatte im Dezember 2022 im Auftrag des Sozialministeriums die „Hüttenpartner“ Alm-, Ski-, und Wanderhüttenvermietung GmbH wegen unzulässiger Klauseln in den AGB geklagt, wobei 25 Klauseln aus den Allgemeinen Geschäftsbedingungen bzw der „Bedingungen Annullierungsvertrag“ beanstandet wurden. Das Oberlandesgericht Wien bestätigte nun das erstinstanzliche Urteil des Landesgerichtes Korneuburg und erklärte alle 25 angefochtenen Klauseln für unzulässig. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

unterstützt durch das

Sozialministerium
Zum Seitenanfang