Der EuGH präzisiert die Ansprüche, die Fluggästen eines verspäteten Fluges nach der Gemeinschaftsverordnung über Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste gegen die Fluggesellschaft zustehen.
Die Fluggastrechte-Verordnung sieht vor, dass Fluggäste bei Annullierung eines Fluges eine pauschale Ausgleichszahlung in Höhe von 250 bis 600 Euro erhalten können. Dagegen sieht die Verordnung nicht ausdrücklich vor, dass ein solcher Anspruch auch den Fluggästen verspäteter Flüge zusteht.
Mit seinem heutigen Urteil antwortet der Gerichtshof auf mehrere Fragen, die ihm vom Bundesgerichtshof (Deutschland) und vom Handelsgericht Wien (Österreich) vorgelegt worden sind. Diese nationalen Gerichte haben über Klagen zu entscheiden, mit denen Fluggäste von Condor und Air France die in der Verordnung für den Fall der Annullierung eines Fluges vorgesehene Ausgleichszahlung beanspruchen, weil sie von diesen Gesellschaften zu ihrem jeweiligen Zielflughafen mit einer Verspätung von 25 bzw. 22 Stunden gegenüber der vorgesehenen Ankunftszeit befördert wurden.
Der Gerichtshof führt zunächst aus, dass die Dauer der Verspätung, auch wenn es sich um eine große Verspätung handelt, nicht ausreicht, um einen Flug als annulliert anzusehen. Ein verspäteter Flug kann unabhängig von der Dauer der Verspätung nicht als annulliert angesehen werden, wenn - von der Abflugzeit abgesehen - alle anderen Elemente des Fluges, insbesondere die Flugroute, unverändert so bleiben, wie sie ursprünglich geplant waren. Wenn die Fluggesellschaft dagegen die Fluggäste nach der geplanten Abflugzeit mit einem anderen Flug befördert, d. h. einem Flug, der unabhängig von dem Flug geplant wurde, für den die Fluggäste gebucht hatten, kann der Flug grundsätzlich als annulliert angesehen werden. Für diese Einstufung sind die Angaben auf der Anzeigetafel des Flughafens, die vom Personal erteilten Informationen, die Umstände, dass den Fluggästen ihr Gepäck wieder ausgehändigt wird oder dass sie neue Bordkarten erhalten, wie auch eine Änderung der Zusammensetzung der Gruppe der Fluggäste nicht ausschlaggebend.
Was sodann den Anspruch auf eine Ausgleichszahlung anbelangt, der in der Verordnung zugunsten der Fluggäste, deren Flug annulliert wurde, vorgesehen ist, stellt der Gerichtshof fest, dass Fluggäste, die von einer Verspätung betroffen sind, einen ähnlichen Schaden in Form eines Zeitverlusts erleiden und sich somit in einer vergleichbaren Lage befinden. Denn die Fluggäste eines kurzfristig annullierten Fluges haben selbst dann einen Ausgleichsanspruch, wenn sie von der Fluggesellschaft mit einem anderen Flug befördert werden, soweit sie gegenüber der ursprünglich angesetzten Dauer einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden. Es wäre nicht gerechtfertigt, die Fluggäste verspäteter Flüge anders zu behandeln, wenn sie ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen.
Schließlich legt der Gerichtshof dar, dass eine solche Verspätung dann nicht zu einem Ausgleichsanspruch führt, wenn die Fluggesellschaft nachweisen kann, dass die Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die von ihr tatsächlich nicht zu beherrschen sind und sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Dazu stellt der Gerichtshof fest, dass ein bei einem Flugzeug aufgetretenes technisches Problem nicht als außergewöhnlicher Umstand angesehen werden kann, es sei denn, das Problem geht auf Vorkommnisse zurück, die aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit der betroffenen Fluggesellschaft sind und von ihr tatsächlich nicht zu beherrschen sind.
EuGH, verbundene Rechtssache Sturgeon/Condor Flugdienst GmbH C-402/07 und Böck ua/Air France SA C-432/07