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EuGH: Fluggastrechte-VO auch bei Ereignissen in Drittstaaten anwendbar

Der EuGH urteilte, dass die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (kurz: Fluggastrechte-VO) selbst dann Anwendung findet, wenn die Verspätung während eines Teilflugs auftritt, der vollständig im Gebiet eines Drittstaats durchgeführt wird. Dabei ist es unerheblich, ob die ausführende Fluggesellschaft ihren Sitz in der EU hat.

Die Fluggastrechte-VO gilt für Fluggäste, die auf Flughäfen im Gebiet eines Mitgliedstaats einen Flug antreten sowie –  sofern das ausführende Luftfahrtunternehmen ein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft ist – für Fluggäste, die von einem Flughafen in einem Drittstaat einen Flug zu einem Flughafen im Unionsgebiet antreten (Art 3 Abs 1 Fluggastrechte-VO). Ein Flug, der aus mehreren Teilabschnitten besteht, aber Gegenstand einer einzigen Buchung war, ist als Gesamtheit zu betrachten. Liegt eine Verspätung von mehr als drei Stunden am Endziel vor, ist der Flug als „annulliert“ anzusehen und es kann in so einem Fall den Fluggästen auch eine Ausgleichszahlung von bis zu EUR 600,- zustehen. Anspruchsgegner ist dabei die ausführende Fluggesellschaft.

Im zugrundeliegenden Rechtsstreit buchten drei Reisende mittels einer einzigen Buchung über die Fluggesellschaft Lufthansa einen Flug mit Anschlussflug von Brüssel (Belgien) nach San Josè (USA) mit Zwischenladung in Newark (USA). Die beiden Teilflüge wurden von United Airlines, einem amerikanischen Luftfahrtunternehmen, durchgeführt. Die Reisenden erreichten ihr Endziel mit einer Verspätung von 223 Minuten, weil sich der zweite Teilflug wegen eines technischen Problems des Flugzeugs verspätete.

Das vorlegende Gericht hegte Bedenken, ob hier die Fluggastrechte-VO zur Anwendung kommt und insofern den Fluggästen eine Ausgleichszahlung zusteht, weil einerseits die Verspätung auf einen Teilflug, der gänzlich außerhalb des Unionsgebiets durchgeführt wurde, zurückzuführen ist und andererseits die ausführende Fluggesellschaft nicht der Union zugehört. Würde die Fluggastrechte-VO auf so einen Sachverhalt zur Anwendung gelangen, könnte insofern auch ein Verstoß gegen das Völkerrecht und den Grundsatz, dass jeder Staat die vollständige und ausschließliche Hoheit über seinen Luftraum besitzt, vorliegen.

Der EuGH urteilte nunmehr, dass der Ort der Verspätung keinerlei Einfluss auf die Anwendbarkeit der Fluggastrechte-VO hat, sofern es sich um einen einheitlich gebuchten Flug mit Anschlussflügen handelt und der ursprüngliche Abflugort in der Union gelegen ist. Eine Unterscheidung danach, ob die Verspätung ihre Ursache im ersten oder im zweiten Teilflug eines Flugs mit Umsteigen hat, der Gegenstand einer einzigen Buchung war, würde zu einer ungerechtfertigten Differenzierung führen: United Airlines wäre im Fall einer beim ersten Teilflug eingetretenen Verspätung zur Zahlung verpflichtet, im Fall einer beim zweiten Teilflug eingetretenen Verspätung aber nicht, obwohl ein solcher Flug mit Umsteigen für die Zwecke des Ausgleichsanspruchs als Gesamtheit zu betrachten ist und die Fluggäste in beiden Fällen dieselbe Verspätung am Endziel und damit dieselben Unannehmlichkeiten haben. Ob das ausführende Luftfahrtunternehmen der EU zugehörig ist, ist dabei unerheblich. Von Bedeutung ist dieses Kriterium nur bei Flügen vom Gebiet eines Drittstaats in das Gebiet eines Mitgliedstaats.

Auch sieht der EuGH darin keinen Verstoß gegen Völkerrecht: In der Fluggastrechte-VO ist als Anknüpfungspunkt für die Zwecke ihrer Anwendbarkeit eine enge Verbindung zum Unionsgebiet festgelegt. Das Kriterium des Abflugorts im Unionsgebiet führt dazu, dass ein solcher Flug und die Fluggäste eines solchen Fluges eine enge Verbindung zum Gebiet der Union beibehalten.

EuGH 07.04.2022, C-561/20 (United Airlines)

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