Zum Inhalt

EuGH: Kreditzinsanpassungsklausel

Im spanischen Anlassfall sah ein Kreditvertrag eine Anpassung des variablen Zinssatzes an den - regelmäßig veröffentlichten - Durchschnittszinssatz der von den Sparkassen gewährten Hypothekendarlehen (Referenzzinssatz) vor. Dieser Referenzzinssatz ist ein in Spanien rechtlich geregelter Index (insgesamt gibt es sechs solcher offiziellen Indizes in Spanien). Diese Indexierung war ungünstiger als die Indexierung anhand des Euribor, der bei 90 % der in Spanien abgeschlossenen Hypothekendarlehen verwendet wird, und führt zu Mehrkosten von rund 18 000 bis 21 000 Euro pro Kredit.

Bindende Rechtsvorschrift?

Nach Art 1 Abs 2 Klausel-RL 93/13 unterliegen Vertragsklauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften beruhen, nicht den Bestimmungen dieser Richtlinie.

Die Kreditvertragsklausel, die eine Anpassung der Zinsen an einen in nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen offiziellen Referenzindizes beruht, fällt dann in den Anwendungsbereich der Klausel-RL, wenn diese Vorschriften weder die unabdingbare Anwendung dieses Index noch seine dispositive Anwendung mangels einer abweichenden Vereinbarung der Parteien vorsehen.
Im gegenständlichen Fall sind die Banken offenbar nicht verpflichtet, diesen Index vorzusehen. Die Folge ist, dass die gegenständliche Klausel in den Anwendungsbereich der Klausel-RL fällt. 

Prüfung einer Klausel, die den Hauptgegenstand des Vertrages betrifft

Art 4 Abs 2 Klausel-RL sieht ua vor, dass die Beurteilung der Missbräuchlichkeit der Klauseln nicht den Hauptgegenstand des Vertrages betrifft, sofern diese Klauseln klar und verständlich abgefasst sind.  Nach den Angaben des vorlegenden nationalen Gerichts hat Spanien diese Bestimmung nicht in nationales Recht umgesetzt.

Das Erfordernis einer klaren und verständlichen Abfassung ist auch in Art 5 Klausel-RL zu finden, dem zufolge die Vertragsklauseln "stets" diesem Erfordernis genügen müssen. Daraus ergibt sich, dass dieses Erfordernis auf jeden Fall zur Anwendung kommt, und zwar auch dann, wenn eine Klausel unter Art 4 Abs 2 Klausel-RL fällt, und selbst dann, wenn der betreffende Mitgliedstaat diese Vorschrift nicht umgesetzt hat. Das genannte Erfordernis kann nicht auf die bloße Verständlichkeit einer Vertragsklausel in formeller und grammatikalischer Hinsicht beschränkt werden.

Ein nationales Gericht muss eine Vertragsklausel, die sich auf den Hauptgegenstand des Vertrags bezieht, auf Klarheit und Verständlichkeit überprüfen, unabhängig davon, ob Art  4 Abs 2 Klausel-RL in die Rechtsordnung dieses Mitgliedstaats umgesetzt worden ist.

Nachvollziehbarer Referenzzinssatz

Eine Kreditvertragsklausel, die einen variablen Zinssatz vorsieht, muss es ermöglichen, dass ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher in die Lage versetzt wird, zu verstehen, wie dieser Zinssatz konkret berechnet wird, und somit auf der Grundlage genauer und nachvollziehbarer Kriterien die möglicherweise beträchtlichen wirtschaftlichen Folgen einer solchen Klausel für seine finanziellen Verpflichtungen einzuschätzen .

Die Hauptelemente zur Berechnung dieses Zinssatzes müssen für jedermann aufgrund der Veröffentlichung der Berechnungsmethode des fraglichen Satzes leicht zugänglich sein. Die Bereitstellung von Informationen über die frühere Entwicklung des Index, auf dessen Grundlage der genannte Zinssatz berechnet wird, ist in besonderer Weise maßgebend.

Voraussetzungen für den Ersatz durch einen gesetzlichen Index

An sich muss ein nationales Gericht nach Art 6 Abs 1 Klausel-RL eine missbräuchliche Vertragsklausel unangewendet lassen. Es darf an sich nicht den Inhalt dieser Vertragsklausel anpassen. Dies liefe dem Abschreckungseffekt zuwider. Wenn aber die Ungültigerklärung der missbräuchlichen Klausel dazu führt, dass der Vertrag insgesamt für nichtig zu erklären ist, was für den Verbraucher besonders nachteilige Folgen hätte, kann das nationale Gericht die missbräuchliche Vertragsklausel durch eine dispositive Vorschrift des nationalen Rechts ersetzen. Im gegenständlichen Fall würde durch die ersatzlose Streichung der missbräuchlichen Klausel der Vertrag insgesamt wegfallen, wodurch der Kreditnehmer den gesamten offenen Kreditbetrag sofort zurückzahlen müsste.

Ein nationales Gericht darf daher eine missbräuchliche Vertragsklausel mit einem Referenzzinssatz durch einen gesetzlichen Index, der in Ermangelung einer anderweitigen Vereinbarung der Vertragsparteien anwendbar ist, ersetzen, sofern der Kreditvertrag bei Wegfall der genannten missbräuchlichen Klausel nicht fortbestehen kann und die Nichtigerklärung des gesamten Vertrags für den Verbraucher besonders nachteilige Folgen hätte.

EuGH 3.3.2020, C-125/18 (M.G./Bankia SA)

Das Urteil im Volltext.

Diesen Beitrag teilen

Facebook Twitter Drucken E-Mail

This could also be of interest:

Unzulässige Ausschlussklausel der Generali Versicherung AG

Unzulässige Ausschlussklausel der Generali Versicherung AG

Der VKI hatte im Auftrag des Sozialministeriums die Generali Versicherung AG wegen einer Klausel geklagt, die den Versicherungsschutz für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen im Zusammenhang mit Akten der Hoheitsverwaltung ausschließt. Das Handelsgericht Wien gab dem VKI recht und erklärte die eingeklagte Klausel für unzulässig. Das Urteil ist rechtskräftig.

OLG Wien: 48 unzulässige Timesharing-Klauseln bei Hapimag

OLG Wien: 48 unzulässige Timesharing-Klauseln bei Hapimag

Der VKI hatte die Hapimag AG wegen unzulässiger Klauseln in den AGB ihrer Timesharing-Verträge geklagt. Das OLG Wien erklärte nun alle 48 angefochtenen Klauseln für unzulässig. Wichtigster Aspekt des Urteils: Verbraucherrechtliche Bestimmungen kommen trotz „Aktionärsstatus“ der Kund:innen zur Anwendung.

Unterlassungserklärung der HDI Versicherung AG

Der VKI hat – im Auftrag des Sozialministeriums – die HDI Versicherung AG wegen einer Klausel in deren ARB 2018 idF vom 01.05.2021 abgemahnt. Diese Klausel sah zwar eine Anpassung der Versicherungssumme und der Versicherungsprämie an den VPI vor, nahm aber unter anderem die im Vertrag vorgesehenen Höchstentschädigungsleistungen von einer solchen Wertanpassung aus. Die HDI Versicherung AG gab am 15.07.2024 eine Unterlassungserklärung ab.

OLG Wien: Dauerrabattklausel des Versicherers Allianz unzulässig

OLG Wien: Dauerrabattklausel des Versicherers Allianz unzulässig

Der VKI klagte im Auftrag der Arbeiterkammer Oberösterreich die Allianz Elementar Versicherungs AG wegen deren Dauerrabattklausel und deren Kündigungsklausel. Das OLG Wien gab dem VKI Recht und erklärte die Klauseln für unzulässig. Das Urteil ist rechtskräftig. Versicherungsnehmer:innen, die aufgrund der Dauerrabattklausel eine Nachforderung bezahlt haben, können diese nun zurückfordern.

unterstützt durch das

Sozialministerium
Zum Seitenanfang