Ausgangsfall:
Eine Konsumentin buchte beim britischen Reiseveranstalter Kuoni eine Pauschalreise nach Sri Lanka für Juli 2010; beinhaltet waren Hin- und Rückflüge vom Vereinigten Königreich sowie ein All-inclusive-Aufenthalt von 15 Nächten in einem Hotel. Als sich die Konsumentin während ihres Aufenthalts auf dem Weg zur Rezeption befand, traf sie auf einen Elektriker, der die Uniform eines Hotelangestellten trug. Unter dem Vorwand, ihr eine Abkürzung zur Rezeption zu zeigen, lockte er die Urlauberin in den Technikraum, wo er sie vergewaltigte und tätlich angriff.
Gegenstand des Vorabentscheidungsverfahrens beim EuGH war die Frage, ob sich der Reiseveranstalter unter Berufung auf die Pauschalreise-Richtlinie von der Haftung befreien kann, „wenn die Nichterfüllung oder mangelhafte Erfüllung des Vertrages auf ein Ereignis zurückzuführen ist, das der Veranstalter und/oder der Vermittler bzw. der Leistungsträger trotz aller gebotenen Sorgfalt nicht vorhersehen oder abwenden konnte“ (Art. 5 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen).
Der Oberste Gerichtshof des Vereinigten Königreichs, der die Frage dem EuGH vorlegte, legte der Auslegung zum einen die Prämisse zu Grunde, dass die Begleitung der Urlauberin zur Rezeption durch ein Mitglied des Hotelpersonals eine Leistung darstellte, zu deren Erbringung sich der Reiseveranstalter Kuoni verpflichtete, zum anderen, dass die Vergewaltigung und der tätliche Angriff eine mangelhafte Erfüllung dieses Vertrages darstellten.
Der EuGH sprach aus, dass im Fall einer Nichterfüllung oder mangelhaften Erfüllung dieser Verpflichtungen, die sich aus den Handlungen eines Angestellten eines den Vertrag erfüllenden Dienstleistungsträgers ergibt – der Angestellte für die Zwecke der Anwendung dieser Bestimmung nicht als ein Dienstleistungsträger angesehen werden kann und – der Veranstalter sich nicht in Anwendung dieser Bestimmung von seiner Haftung für die Nichterfüllung oder mangelhafte Erfüllung befreien kann.
EuGH 18.03.2021, C-578/19, Kuoni Travel
Hinweis: Die in diesem Urteil behandelte Richtlinie 90/314/EWG über Pauschalreisen wurde durch die neue Pauschalreise-Richtlinie (EU) 2015/2302 per 01.07.2018 ersetzt.
Art 5 Abs 2 der Richtlinie 90/314/EWG (Pauschalreise-Richtlinie „alt“):
Die Mitgliedstaaten treffen hinsichtlich der Schäden, die dem Verbraucher aus der Nichterfüllung oder einer mangelhaften Erfüllung des Vertrages entstehen, die erforderlichen Maßnahmen, damit der Veranstalter und/oder der Vermittler die Haftung übernimmt, es sei denn, dass die Nichterfüllung oder die mangelhafte Erfüllung weder auf ein Verschulden des Veranstalters und/oder Vermittlers noch auf ein Verschulden eines anderen Dienstleistungsträgers zurückzuführen ist, weil
- die festgestellten Versäumnisse bei der Erfüllung des Vertrages dem Verbraucher zuzurechnen sind;
- diese unvorhersehbaren oder nicht abwendbaren Versäumnisse einem Dritten zuzurechnen sind, der an der Bewirkung der vertraglich vereinbarten Leistungen nicht beteiligt ist;
- diese Versäumnisse auf höhere Gewalt entsprechend der Definition in Artikel 4 Absatz 6 Unterabsatz 2 Ziffer ii) oder auf ein Ereignis zurückzuführen sind, das der Veranstalter und/oder der Vermittler bzw. der Leistungsträger trotz aller gebotenen Sorgfalt nicht vorhersehen oder abwenden konnte.
Art 14 Abs 3 der Richtlinie (EU) 2015/2302 (Pauschalreise-Richtlinie „neu“):
Der Reisende hat keinen Anspruch auf Schadenersatz, wenn der Reiseveranstalter nachweist, dass die Vertragswidrigkeit
a) dem Reisenden zuzurechnen ist,
b) einem Dritten zuzurechnen ist, der an der Erbringung der in dem Pauschalreisevertrag inbegriffenen Reiseleistung nicht beteiligt ist, und die Vertragswidrigkeit weder vorhersehbar noch vermeidbar war
c) durch unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände bedingt war.