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EuGH: Zeitanteiliger Wertersatz bei Rücktritt

Eine Verbraucherin trat nach 4 Tagen von einem auf ein Jahr abgeschlossenen Online-Partnervermittlungsvertrag mit Parship zurück. Parship verrechnete ihr für die vier Tage rund EUR 393,--. Der Gesamtpreis für ein Jahr betrug rund EUR 524. Parship rechtfertigte dies damit, dass zu Beginn der Vertragslaufzeit ein Großteil der Leistung erbracht wird. Dem erteilte der EuGH nun eine Abfuhr: Grundsätzlich kann in einem solchen Fall nur ein zeitanteiliger Wertersatz verrechnet werden. Eine Ausnahme davon gibt es nur dann, wenn der geschlossene Vertrag ausdrücklich vorsieht, dass Leistungen gleich zu Beginn der Vertragsausführung vollständig und gesondert zu einem getrennt zu zahlenden Preis erbracht werden.

Im deutschen Anlassfall schloss eine Verbraucherin bei Parship (PE Digital) einen Vertrag über eine Premium-Mitgliedschaft für zwölf Monate zu einem Preis von rund EUR 524 ab. Parship belehrte die Verbraucherin über ihr Widerrufsrecht, und diese bestätigte, dass Parship mit der vertraglichen Leistung vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnen solle. Vier Tage nach Vertragsabschluss widerrief die Verbraucherin den Vertrag. Parship stellte ihr rund EUR 393 als Wertersatz in Rechnung.

Zeitanteilige Zahlungspflicht

Nach Art 14 Abs 3 der VR-RL 2011/83 (Anm: s dazu § 16 Abs 1 FAGG) hat der Verbraucher, der vom Unternehmer den Beginn der Vertragsausführung vor Ablauf der Widerrufsfrist verlangt hat, wenn er in diesem Zusammenhang sein Widerrufsrecht ausübt, dem Unternehmer "einen Betrag [zu zahlen], der verhältnismäßig dem entspricht, was bis zu dem Zeitpunkt, zu dem der Verbraucher den Unternehmer von der Ausübung des Widerrufsrechts unterrichtet, im Vergleich zum Gesamtumfang der vertraglich vereinbarten Leistungen geleistet worden ist". Weiter wird in dieser Bestimmung klargestellt, dass "[d]er anteilige Betrag, den der Verbraucher … zu zahlen hat, auf der Grundlage des vertraglich vereinbarten Gesamtpreises berechnet [wird]".

Zur Bestimmung des anteiligen Betrags, den der Verbraucher an den Unternehmer zu zahlen hat, wenn er ausdrücklich verlangt hat, dass die Ausführung des geschlossenen Vertrags während der Widerrufsfrist beginnt, und dann den Vertrag widerruft, ist grundsätzlich auf den im Vertrag vereinbarten Preis für die Gesamtheit der vertragsgegenständlichen Leistungen abzustellen und der geschuldete Betrag zeitanteilig zu berechnen.

Nur wenn der geschlossene Vertrag ausdrücklich vorsieht, dass eine oder mehrere der Leistungen gleich zu Beginn der Vertragsausführung vollständig und gesondert zu einem getrennt zu zahlenden Preis erbracht werden, ist bei der Berechnung des dem Unternehmer nach Art 14 Abs 3 VR-RL zustehenden Betrags der volle für eine solche Leistung vorgesehene Preis zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall sah der Vertrag keinen gesonderten Preis für irgendeine Leistung vor, die als von der in diesem Vertrag vorgesehenen Hauptleistung abtrennbar angesehen werden kann.

Überhöhter Gesamtpreis
Ist der Gesamtpreis überhöht, so wird der anteilig zu zahlende Betrag auf der Grundlage des Marktwerts der erbrachten Leistungen berechnet (§ 14 Abs 3 letzter Satz VR-RL). Für die Beurteilung, ob der Gesamtpreis überhöht ist, sind der Preis für die Dienstleistung, den der betreffende Unternehmer anderen Verbrauchern unter den gleichen Bedingungen anbietet, sowie der Preis einer zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses von anderen Unternehmern erbrachten gleichwertigen Dienstleistung zu berücksichtigen.

Keine Lieferung "digitaler Inhalte"
Die Konsumentin erhielt ein 50-seitigen "Persönlichkeitsgutachten", das anhand eines etwa dreißigminütigen Persönlichkeitstests gemacht wurde.

Nach Art 16 lit m der VR-RL (Anm s § 18 Abs 1 Z 11 FAGG) ist bei Fernabsatzverträgen über die Lieferung von nicht auf einem körperlichen Datenträger gelieferten digitalen Inhalten kein Widerrufsrecht vorgesehen, wenn die Ausführung mit vorheriger ausdrücklicher Zustimmung des Verbrauchers und seiner Kenntnisnahme, dass er hierdurch sein Widerrufsrecht verliert, begonnen hat.

Als "digitale Inhalte" werden Daten bezeichnet, die in digitaler Form hergestellt und bereitgestellt werden, wie etwa Computerprogramme, Anwendungen (Apps), Spiele, Musik, Videos oder Texte, unabhängig davon, ob auf sie durch Herunterladen oder Herunterladen in Echtzeit (Streaming), von einem körperlichen Datenträger oder in sonstiger Weise zugegriffen wird (s ErwGr 19 der VR-RL). Dienstleistungen wie die auf der dieser Partnervermittlungs-Website bereitgestellten, die dem Verbraucher die Erstellung, Verarbeitung oder Speicherung von Daten in digitaler Form oder den Zugang zu solchen Daten und die gemeinsame Nutzung der vom Verbraucher oder von anderen Nutzern der entsprechenden Dienstleistung in digitaler Form hochgeladenen oder erstellten Daten oder sonstige Interaktionen mit diesen Daten ermöglichen, können nicht als Lieferung "digitaler Inhalte" angesehen werden. Auch die Erstellung eines Persönlichkeitsgutachtens  stellt keine Lieferung "digitaler Inhalte" iSv Art 16 lit m der VR-RL dar.

Der Ausnahmetatbestand vom Rücktrittsrecht ist daher nicht erfüllt.

EuGH 8.10.2020, C-641/19 (EU/PE Digital GmbH)

Anmerkung: S dazu bereits OGH 23.10.2018, 4 Ob 179/18d, der in einem Verfahren gegen das gleiche beklagte Partner-Vermittlungsunternehmen bereits aussprach, dass bei der Berechnung des anteiligen Abgeltungsbetrags iSd § 16 Abs 1 FAGG im Fall eines Rücktritts bei einer vom Verbraucher verlangten sofortigen Leistungserbringung eines Partnervermittlungsvertrags nur eine zeitabhängige Aliquotierung im Verhältnis zur vereinbarten Gesamtlaufzeit vorgenommen werden darf. Die Bekl verrechnete im Anlassfall bei einem Rücktritt innerhalb der 14 Tage abhängig von der Anzahl der in Anspruch genommenen Kontakte einen Preis bis zu 75 % des Jahresentgelts.

Das Urteil im Volltext.

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