Zum Inhalt

FAGG-Rücktritt auch bei Einkäufen im Lockdown

Der Kläger (Verbraucher) schloss mit der Beklagten (Unternehmerin) am 6.4.2020 per E-Mail einen Kaufvertrag über einen Whirlpool ab. Anlässlich des Vertragsabschlusses war der Kläger nicht über das Rücktrittsrecht gemäß § 11 FAGG belehrt worden. Mit Schreiben vom 13.11.2020 erklärte er den Vertragsrücktritt. Seiner Klage auf Rückzahlung des Kaufpreises wurde stattgegeben.

Ein „Fernabsatzvertrag“ bezeichnet jeden Vertrag, der zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit des Unternehmers und des Verbrauchers im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems geschlossen wird, wobei bis einschließlich des Zustandekommens des Vertrags ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwendet werden (§ 3 Z 2 FAGG).

Für das Kriterium des „für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems“ maßgebend ist, ob der Unternehmer seinen Vertrieb organisatorisch – zumindest auch – auf einen regelmäßigen Absatz per Distanzgeschäft (Fernabsatz) ausgerichtet hat, wofür auch ein von ihm selbst eingerichtetes derartiges System ausreichen kann (s 6 Ob 36/20t).

Das Vertriebssystem der Beklagten war darauf ausgerichtet, dass der Vertrieb der Whirlpools zumindest zum Teil auch im Fernabsatz erfolgen konnte. Wenngleich die Beklagte die Whirlpools normalerweise verkaufte, nachdem die Kunden diese in einem der Schauräume persönlich besichtigt haben und von einem Verkäufer beraten wurden, kamen auch Verkäufe im Fernabsatz mehrmals im Jahr vor.

Mit dem ersten Lockdown richtete die Beklagte den Vertrieb zur Gänze auf den Fernabsatz aus.

Ein Fernabsatzgeschäft setzt keinen, insbesondere auch keinen standardisierten Geschäftsabschluss in einem Webshop voraus, weil auch telefonische, per E-Mail etc zustande kommende Verträge den Tatbestand des Fernabsatzes erfüllen.

Auch ausführliche Telefonate, (E-Mail-)Korrespondenzen und eine Inaugenscheinnahme der Ware mittels 3D-Rundgangs verhindern nicht die Beurteilung eines Vertrags als Fernabsatzgeschäft. Da der (Richtlinien-)Gesetzgeber nur von einer typisierten Betrachtung ausgehen kann, kommen die Bestimmungen mangels gesetzlicher Einschränkungen auch dann zur Anwendung, wenn sich die potenziellen Gefahren im Einzelnen nicht realisieren. Dass der Kläger keinem Überraschungsmoment und/oder psychologischem Druck ausgesetzt war, spielt hier schon deshalb keine Rolle, weil diese Gefahren typisiert bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen angenommen werden (vgl ErwGr 21 und 37), nicht aber bei Fernabsatzgeschäften.

Auch ausreichende vorvertragliche Kaufinformationen beseitigen das Rücktrittsrecht nach § 11 FAGG nicht. Dafür, dass ein behördliches Betretungsverbot (Lockdown I) der Anwendung des FAGG im Allgemeinen oder dem Rücktrittsrecht im Besonderen entgegenstehen könnte, bestehen nach seiner Zwecksetzung oder neben den gesetzlichen Ausnahmen (§ 18 FAGG) keinerlei Anhaltspunkte.

OGH 30.6.2022, 9 Ob 39/22h

Diesen Beitrag teilen

Facebook Twitter Drucken E-Mail

Das könnte auch interessant sein:

Spanische Hofreitschule – Lipizzanergestüt Piber Kletterpark gibt Unterlassungserklärung ab

Spanische Hofreitschule – Lipizzanergestüt Piber Kletterpark gibt Unterlassungserklärung ab

Das Lipizzanergestüt Piber betreibt auf dem Gelände des Lipizzanergestüts Piber einen Kletterpark.
Anlässlich einer Verbraucher:innenbeschwerde hat der VKI die AGB dieses Kletterparks geprüft und die Spanische Hofreitschule – Lipizzanergestüt Piber Kletterpark, im Auftrag des Sozialministeriums, wegen zwei unzulässigen Klauseln in diesen Teilnahmebedingungen für den Kletterpark abgemahnt. Betroffen sind eine Haftungsfreizeichnungsklausel und eine Klausel, welche die Verwendung von aufgenommenen Fotos und Videos während der Aktivitäten im Kletterpark ohne weitere Zustimmung und auch für Werbezwecke erlaubt hätte.

Die Spanische Hofreitschule – Lipizzanergestüt Piber Kletterpark hat am 25.06.2024 eine außergerichtliche strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben.

Unterlassungserklärung von Temu

Unterlassungserklärung von Temu

Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) hat im Auftrag des BMSGPK die Whaleco Technology Limited (Temu) wegen unzureichender Zurverfügungstellung von Kontaktinformationen (konkret: Telefonnummer) auf ihrer Website abgemahnt. Die Homepagegestaltung von Temu entsprach nach Auffassung des VKI nicht den Vorgaben des FAGG. Temu hat am 24.06.2024 eine Unterlassungserklärung abgegeben.

zupfdi.at: VKI informiert über mögliche Rückforderungsansprüche betroffener Verbraucher:innen

zupfdi.at: VKI informiert über mögliche Rückforderungsansprüche betroffener Verbraucher:innen

Der OGH hat mit Beschluss vom 25.01.2024 (4 Ob 5/24z) das Geschäftsmodell der gewerblichen „Besitzschützer“ hinter der Website www.zupfdi.at für rechtswidrig erkannt. Das HG Wien hat in VKI-Verbandsverfahren ua die Unzulässigkeit von Klauseln über die Abtretung der Besitzschutzansprüche und die Einräumung von Mitbesitz an den bewachten Liegenschaften bestätigt. Nach Rechtsauffassung des VKI ergeben sich aus diesen Entscheidungen Rückforderungsansprüche der betroffenen Verbraucher:innen, die Zahlungen an „Zupf di“ getätigt haben.

Unterlassungserklärung der Sanag Health Care GmbH

Der VKI hat – im Auftrag des Sozialministeriums – die Sanag Health Care GmbH wegen acht Klauseln in ihrem Mietvertrag für ein Leihgerät abgemahnt. Die Sanag Health Care GmbH hat zu allen Klauseln eine Unterlassungserklärung abgegeben.

EuGH: keine Tragung von Verfahrenskosten durch Verbraucher:innen bei missbräuchlichen Vertragsklauseln

EuGH: keine Tragung von Verfahrenskosten durch Verbraucher:innen bei missbräuchlichen Vertragsklauseln

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) äußerte sich kürzlich zu offenen Auslegungsverfahren der Klausel-Richtlinie (RL 93/13/EWG) und der Verbraucherkredit-Richtlinie 2008 (RL 2008/48/EG). Das Urteil vom 21.03.2024 (C-714/22, Profi Credit Bulgaria) betrifft ein bulgarisches Vorlageverfahren; die Aussagen des Gerichtshof sind jedoch auch für österreichische Verbraucher:innen von Relevanz.

unterstützt durch das

Sozialministerium
Zum Seitenanfang