Im polnischen Anlassfall trat ein Fluggast seinen auf der Fluggastrechte-VO beruhenden Anspruch auf Ausgleichszahlung gegen die Fluglinie an eine auf die Beitreibung von Fluggastforderungen spezialisierte Gesellschaft ab. Die Klage wurde in Polen eingebracht. Die Fluglinie erhob die Einrede der Unzuständigkeit der polnischen Gerichte mit der Begründung, dass die allgemeinen Beförderungsbedingungen die Zuständigkeit der irischen Gerichte festlegen.
Bindet eine Gerichtsstandsklausel auch eine Inkassogesellschaft, an die der Anspruch abgetreten wurde?
Eine in einen Vertrag aufgenommene Gerichtsstandsklausel kann ihre Wirkung grundsätzlich nur im Verhältnis zwischen den Parteien entfalten, die dem Abschluss dieses Vertrags zugestimmt haben. Jedoch hat hier die Inkassogesellschaft nicht zugestimmt, durch eine Gerichtsstandsklausel an die Fluglinie gebunden zu sein, und ebenso wenig hat sich die Fluglinie damit einverstanden erklärt, an diese Inkassogesellschaft durch eine solche Klausel gebunden zu sein.
Eine Fluggesellschaft kann eine Gerichtsstandsklausel, die im Beförderungsvertrag zwischen ihr und einem Fluggast enthalten ist, einer Inkassogesellschaft, an die der Fluggast seine Forderung abgetreten hat, grundsätzlich nicht entgegenhalten, um die Zuständigkeit eines Gerichts für die Entscheidung einer gegen sie auf der Grundlage der Fluggastrechte-VO erhobenen Klage auf eine Ausgleichsleistung in Abrede zu stellen. Nur wenn der Dritte (hier die Inkassogesellschaft) nach dem in der Sache anwendbaren nationalen Recht in alle Rechte und Pflichten der ursprünglichen Vertragspartei eingetreten ist, könnte eine Gerichtsstandsklausel, der dieser Dritte nicht zugestimmt hat, ihn dennoch binden.
Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsklausel
Nach Art 25 Abs 1 der EuGVVO ((EU) Nr 1215/2012) sind die in der Gerichtsstandsklausel bezeichneten Gerichte zuständig, es sei denn, die Gerichtsstandsvereinbarung ist „nach dem Recht [des betreffenden] Mitgliedstaats“ materiell nichtig. Der Unionsgesetzgeber hat somit die Regel aufgestellt, dass die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsklausel nach dem Recht des Staates zu beurteilen ist, dessen Gerichte in dieser Klausel bestimmt wurden, dh hier anhand des irischen Rechts.
Im Übrigen hat das Gericht, das mit dem konkreten Rechtsstreit befasst ist, das Recht des Staates anzuwenden, dessen Gerichte in dieser Klausel bestimmt sind, indem es dieses Recht in Übereinstimmung mit dem Unionsrecht und insb mit der Klausel-RL auslegt.
Der EuGH hat zum Verhältnis zwischen der Klausel-Richtlinie und den Fluggastrechten wie den in der Fluggastrechte-Verordnung niedergelegten entschieden, dass es sich bei der Klausel-Richtlinie um eine allgemeine Regelung zum Schutz der Verbraucher handelt, die in allen Wirtschaftszweigen einschließlich desjenigen des Luftverkehrs anwendbar ist.
In Bezug auf die Verbraucherkredit-RL hat der EuGH bereits entschieden, dass die Tatsache, dass sich in einer Rechtsstreitigkeit nach Forderungsabtretung nur Gewerbetreibende gegenüberstanden, der Anwendung eines Instruments aus dem Verbraucherschutzrecht der Union nicht entgegenstand, da der Anwendungsbereich der Richtlinie nicht von der Identität der Parteien des fraglichen Rechtsstreits, sondern von der Eigenschaft der Vertragsparteien abhängt. Diese Rechtsprechung ist auf die Anwendung der Klausel-RL zu übertragen.
Vorliegend wurde der Beförderungsvertrag, auf dem die geltend gemachte Forderung beruht, ursprünglich zwischen einem Gewerbetreibenden, nämlich der Fluggesellschaft, und einem Fluggast, der den Flugschein zu privaten Zwecken gekauft hatte, geschlossen.
Insoweit hat der EuGH wiederholt entschieden, dass eine Gerichtsstandsklausel, die in einen Vertrag zwischen einem Verbraucher und einem Gewerbetreibenden aufgenommen wurde, ohne im Einzelnen ausgehandelt worden zu sein, und die eine ausschließliche Zuständigkeit dem Gericht zuweist, in dessen Bezirk der Gewerbetreibende seinen Sitz hat, als missbräuchlich iSv Art 3 Abs 1 der Klausel-RL anzusehen ist, da sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des betreffenden Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht (s Anh Nr 1 lit q Klausel-RL). Es obliegt dem nationalen Gericht nach den Rechtsvorschriften des Staates, dessen Gerichte in einer Gerichtsstandsklausel bestimmt sind, und unter Auslegung dieser Rechtsvorschriften im Einklang mit den Anforderungen der Klausel-RL die rechtlichen Konsequenzen aus der etwaigen Missbräuchlichkeit einer solchen Klausel zu ziehen (s dazu Art 6 Abs 1 Klausel-RL).
Zusammenfassung:
Art 25 der EuGVVO 2012 ist dahin auszulegen, dass eine Fluggesellschaft eine Gerichtsstandsklausel einer Inkassogesellschaft, an die der Fluggast seine Forderung abgetreten hat, nicht entgegenhalten kann, um die Zuständigkeit eines Gerichts für die Entscheidung einer gegen sie auf der Grundlage der Fluggastrechte-Verordnung erhobenen Klage auf eine Ausgleichsleistung in Abrede zu stellen, es sei denn, dass nach den Rechtsvorschriften des Staates, dessen Gerichte in dieser Klausel bestimmt sind, die Inkassogesellschaft in alle Rechte und Pflichten der ursprünglichen Vertragspartei eingetreten ist. Gegebenenfalls ist eine solche Klausel, die in einem Vertrag zwischen einem Verbraucher und einem Gewerbetreibenden enthalten ist, ohne im Einzelnen ausgehandelt worden zu sein, und die dem Gericht, in dessen Bezirk sich der Sitz der Fluggesellschaft befindet, eine ausschließliche Zuständigkeit zuweist, als missbräuchlich iSv Art 3 Abs 1 der Klausel-RL anzusehen.
EuGH 18.11.2020, C-519/19 (Ryanair DAC/DelayFix)
Das Urteil im Volltext.