Beim Start explodierte das linke Triebwerk eines Flugzeugs, woraufhin die Fluggäste evakuiert wurden. Eine Reisende verließ das Flugzeug über einen Notausstieg und wurde durch den Jetblast des rechten Triebwerks, das noch in Bewegung war, mehrere Meter durch die Luft geschleudert. In der Folge wurde eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert, deretwegen sie sich in ärztlicher Behandlung befindet.
Sie klagte das Luftfahrtunternehmen auf Feststellung der Haftung gemäß Art 17 Abs 1 des Montrealer Übereinkommens (MÜ) sowie auf Ersatz der von ihr aufgewandten Heilungskosten von 4 353,60 Euro und Schmerzengeld von 2 500 Euro.
Nach Art 17 Abs 1 MÜ hat der Luftfrachtführer den Schaden zu ersetzen, der dadurch entsteht, dass ein Reisender getötet oder körperlich verletzt wird, jedoch nur, wenn sich der Unfall, durch den der Tod oder die Körperverletzung verursacht wurde, an Bord des Luftfahrzeugs oder beim Ein- oder Aussteigen ereignet hat. Der Begriff „Körperverletzung“ ist nicht im MÜ definiert. Dieser Begriff muss einheitlich und autonom ausgelegt werden.
Der Begriff „Körperverletzung“ kann in seiner gewöhnlichen Bedeutung nicht dahin ausgelegt werden, dass er eine psychische Beeinträchtigung iZm einer solchen Körperverletzung ausschließt. Hier handelt es sich aber eine psychische Beeinträchtigung, die keinen Zusammenhang mit einer Körperverletzung aufweist.
Der Begriff „körperlich verletzt“ wurde auf der Grundlage gewählt, dass in einigen Staaten unter bestimmten Voraussetzungen Schadenersatz für psychische Verletzungen einklagbar ist, dass sich die Rechtsprechung in diesem Bereich entwickelt und dass nicht beabsichtigt ist, in diese Entwicklung, die von der Rechtsprechung in anderen Bereichen als dem internationalen Luftverkehr abhängt, einzugreifen.
Ein Ziel des MÜ ist der Schutz der Verbraucherinteressen bei der Beförderung im internationalen Luftverkehr und ein angemessener Schadenersatzes nach dem Grundsatz des vollen Ausgleichs insbesondere bei einem Unfall. Diese Ziel würde in Frage gestellt werden, wenn der Schadenersatz für durch einen solchen Unfall verursachte psychische Beeinträchtigungen ausgeschlossen würde, wenn sie keinen Zusammenhang mit einer Körperverletzung aufweisen. Ein Fluggast, der infolge eines Unfalls eine psychische Beeinträchtigung erlitten hat, kann sich nämlich je nach Schwere des daraus resultierenden Schadens in einer Lage befinden, die mit der eines Fluggastes vergleichbar ist, der eine Körperverletzung erlitten hat.
Daher umfasst der Schadenersatz auch eine durch einen „Unfall“ iSv Art 17 MÜ verursachte psychische Beeinträchtigung, die keinen Zusammenhang mit einer „Körperverletzung“ im Sinne dieser Bestimmung aufweist.
Es muss aber einen „gerechten Interessenausgleich“ zwischen Luftfahrtunternehmen und Reisenden geben. Somit kann die Haftung des Luftfahrtunternehmens auf der Grundlage von Art 17 Abs 1 des MÜ nur dann ausgelöst werden, wenn der verletzte Fluggast ua mittels eines medizinischen Gutachtens und Belegen über eine ärztliche Behandlung rechtlich hinreichend nachweist, dass eine Beeinträchtigung seiner psychischen Integrität vorliegt, die er infolge eines „Unfalls“ erlitten hat und die von solcher Schwere oder Intensität ist, dass sie sich insbesondere in Anbetracht ihrer psychosomatischen Wirkungen auf seinen allgemeinen Gesundheitszustand auswirkt und nicht ohne ärztliche Behandlung abklingen kann.
Zusammenfassung:
Für eine psychische Beeinträchtigung, die ein Fluggast durch einen „Unfall“ iSd Art 17 Abs 1 des MÜ erlitten hat und die keinen Zusammenhang mit einer „Körperverletzung“ iS dieser Bestimmung aufweist, ist in gleicher Weise Schadenersatz zu leisten wie für eine solche Körperverletzung, sofern der Fluggast eine Beeinträchtigung seiner psychischen Integrität nachweist, die von solcher Schwere oder Intensität ist, dass sie sich auf seinen allgemeinen Gesundheitszustand auswirkt und nicht ohne ärztliche Behandlung abklingen kann.