Bei einer Zahnbehandlung, bei der - medizinisch richtig und lege artis - mehrere Implantate eingesetzt und Zähne entfernt wurden, verschrieb der behandelnde Arzt ein Antibiotikum. Als schicksalhafte Folge der Zahnbehandlung trat bei der beklagten Patientin ein Mundbodenabszess auf. Als die Beklagte fünf Tage nach der Behandlung erneut in der Ordination Zahnarztes vorstellig wurde, hatte sie eine Schwellung, Schmerzen und Schluckbeschwerden und konnte den Mund nicht öffnen. Der Zahnarzt hätte ihr trotz fehlenden Nachweises eines bereits vorhandenen Abszesses ein alternatives Antibiotikum verschreiben und sie eindringlich darauf hinweisen müssen, dass es aufgrund der Wirkungslosigkeit des Antibiotikums zu einer Verschlechterung ihres Zustands kommen könne und sie in diesem - umgehend behandlungsbedürftigen - Notfall sofort auf der Kieferchirurgie vorstellig werden müsse. Da die Beklagte am folgenden Tag das Gefühl hatte, zu ersticken, begab sie sich in Spitalsbehandlung, im Rahmen derer der Mundbodenabszess diagnostiziert und operativ von außen gespalten wurde. Sie brach die weitere Behandlung beim Zahnarzt ab.
Die Klage des Zahnarztes auf das Honorar für die vereinbarte weitere Behandlung abzüglich einer Kostenersparnis für Zukauf an Material, gestützt auf § 1168 Abs 1 Satz 1 ABGB, wurde abgewiesen.
Lehre und Literatur bejahen die Möglichkeit der vorzeitigen Auflösung eines Behandlungsvertrags aus wichtigem Grund mit der Konsequenz, dass der Behandler keinen Entgeltanspruch für noch nicht erbrachte Leistungen hat. Dies entspricht dem sowohl für Ziel- als auch für Dauerschuldverhältnisse allgemeingültigen Rechtsgrundsatz, dass ein wichtiger Grund, der die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses für einen der Vertragsteile unzumutbar erscheinen lässt, jederzeit zur sofortigen Vertragsaufhebung berechtigt. Als wichtiger Grund kommt insbesondere auch der berechtigte Verlust des Vertrauens in die Person des Vertragspartners in Betracht.
Der klagende Zahnarzt ging im Rahmen der Nachbehandlung insofern nicht lege artis vor, als er der Beklagten kein anderes Antibiotikum verschrieb und sie auch nicht darauf hinwies, dass sie im Falle einer weiteren Verschlechterung ihres Zustands sofort auf der Kieferchirurgie vorstellig werden müsse. Dieses Verhalten ist geeignet, das Vertrauen eines Patienten in seinen Arzt zu erschüttern und eine weitere Behandlung durch diesen abzulehnen. Der mit der Behandlung verbundene Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten lässt die Fortsetzung des (naturgemäß eine ganz besondere Vertrauensbasis erfordernden) Behandlungsvertrags bei - potentiell lebensbedrohlichen - Kunst- und Aufklärungsfehlern des Arztes, mögen sie - wie hier - konkret auch nicht für einen Schaden des Patienten kausal geworden sein, unzumutbar erscheinen.
OGH 29.9.2020, 8 Ob 50/20s