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Unzulässige AGB einer Kinderbetreuungseinrichtung
Bild: Natalia Deriabina/Shutterstock

OGH: Unzulässige AGB einer Kinderbetreuungseinrichtung

Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) hatte im Auftrag des Sozialministeriums die Kinderbetreuungseinrichtung Kindervilla wegen mehrerer Klauseln in den AGB ihres Betreuungsvertrages geklagt. Während zu 2 Klauseln bereits in I. Instanz ein Teilanerkenntnis der Beklagten abgegeben wurde, qualifizierte nun der Oberste Gerichtshof (OGH) die restlichen 5 Klauseln als unzulässig. Bei den beanstandeten Klauseln handelt es sich u.a. um Klauseln zur Vertragsauflösung und zur fehlenden Rückerstattung von getätigten Zahlungen.

Die Beklagte betreibt eine Kinderbetreuungseinrichtung in Innsbruck. Aufgrund von Beschwerden mahnte der VKI 7 Klauseln im Betreuungsvertrag der Kindervilla ab. Inkriminiert wurden Verstöße gegen das Konsumentenschutzgesetz (KSchG) und das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB). Nachdem die Beklagte der Aufforderung nicht nachkam, die Verwendung der Klauseln zu unterlassen, wurde die Klage eingebracht. Mit Teilanerkenntnisurteil wurde die Beklagte verpflichtet, die Verwendung zweier Klauseln betreffend Entgelterhöhung zu unterlassen („Index-Klauseln“). Bei den weiteren 5 Klauseln handelte es sich inhaltlich etwa um das Einbehalten der Kaution, die fehlende Refundierung des Einschreibungsbetrages oder um die Regeln zur Vertragsauflösung. Nunmehr beurteilte der OGH alle restlichen 5 Klauseln als unzulässig.

Klauseln und Verstöße im Einzelnen:

Klausel 1:
„[…] Einschreibungsbetrag

Der Einschreibungsbetrag beläuft sich auf 300,--.

Damit ist das Informationsgespräch, die Einschreibungsadministration und der Kennenlernprozess zwischen Erziehungsberechtigten, Kind und Pädagog*in abgegolten und daher jedenfalls von einer Refundierung ausgenommen.“

Verstoß gegen § 879 Abs 3 ABGB.
Der OGH führt hier die Rsp zu den Servicepauschalen fort (RS0123253) und stellt fest: Die Verrechnung von zusätzlichen Entgelten in AGB, denen keine konkreten Zusatzleistungen oder konkrete Kosten gegenüberstehen, die also bloß eine in die AGB „verschobene“ Entgeltverrechnung für ohnehin mit der Erfüllung der Hauptleistung üblicherweise verbundenen Aufwendungen darstellt, ist gröblich benachteiligend im Sinne des § 879 Abs 3 ABGB. Die Leistungen, die nach den Feststellungen mit dem Einschreibungsbetrag abgegolten werden sollen, sind gewöhnliche im Zuge der Vertragsanbahnung anfallende Leistungen, weil es sich dabei um übliche Vertragsgespräche handelt, bei denen der Verbraucher über die aus dem abzuschließenden Vertrag resultierenden Rechte und Pflichten informiert wird. Damit werden keine nur aufgrund von Besonderheiten im Einzelfall erforderlichen Mehrleistungen des Beklagten abgegolten, zumal der Einschreibungsbetrag immer – auch bei Nichtinanspruchnahme dieser Leistungen – zu zahlen ist. Die festgestellten Leistungen entsprechen keinen konkreten Aufwendungen oder Leistungen, die über das übliche, mit der Vertragsbegründung entstehende Maß hinausgehen. Die Klausel ist aber auch deshalb unzulässig (vgl RS0016914 [T2, T3]), weil der Einschreibungsbetrag „jedenfalls“ von einer möglichen Refundierung ausgenommen ist, also auch in Fällen, in denen der Verbraucher nach dispositivem Recht einen Anspruch auf Rückzahlung dieses Betrags hätte, etwa weil der Grund für die Auflösung des Vertrags in der Sphäre des Beklagten liegt. Dafür sei keine sachliche Rechtfertigung für den Senat erkennbar.

Klausel 2:
„Falls Sie den Kinderkrippenplatz bis zu diesem Zeitpunkt nicht in Anspruch nehmen sollten, gehen der Betreuungsplatz sowie die Kaution verlustig.“

Verstoß gegen § 879 Abs 3 ABGB.
Nach Ansicht des OGH weicht Klausel 2 vom dispositiven Recht ab. Bei der Abweichung einer Klausel von dispositiven Rechtsvorschriften liegt gröbliche Benachteiligung eines Vertragspartners schon dann vor, wenn sie unangemessen ist (RS0016914 [T1]). Nach der Rechtsprechung können Maßnahmen gröblich benachteiligend für die Verbraucher sein, wenn mit anderen für den Unternehmer nicht mit erheblichem Mehraufwand verbundenen Maßnahmen das verfolgte Ziel ebenfalls erreicht werden kann (vgl 4 Ob 62/22d Rz 65; 4 Ob 59/22p Rz 60). Es ist keine sachliche Rechtfertigung dafür ersichtlich, dass die „Kaution“ laut Klausel 2 auch dann zu zahlen ist, wenn die Eltern kein Verschulden an der Nichtinanspruchnahme des Betreuungsplatzes trifft. Die Klausel 2 ist jedenfalls in ihrer Gesamtheit gröblich benachteiligend im Sinne des § 879 Abs 3 ABGB.

Klausel 3:
„Auch wenn die Betreuung über mehrere Wochen nicht in Anspruch genommen wird, ist der Betrag für den betreffenden Monat ohne Abzug durchgehend zu entrichten.“

Verstoß gegen § 6 Abs 3 KSchG.
Diese Klausel ist nach Ansicht des OGH intransparent. Sie entspricht der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu vergleichbaren Klauseln (mwN).

Klausel 6:
„Wird das Betreuungsverhältnis beendet, bedarf es dazu der Einhaltung einer halbjährlichen Kündigungsfrist, wobei eine Kündigung jeweils ausschließlich zum Ende des Bildungsjahres möglich ist, bzw. wirksam wird. Da dieses mit September beginnt, endet es sohin zum 31. August. Sollte in begründeten Einzelfällen ein abweichender Betreuungsbeginn vereinbart worden sein, führt dies als Bestandteil dieser abweichenden Vereinbarung dennoch nicht zu einer Änderung des frühestmöglichen Kündigungstermins zum 28.02. des gegenständlich laufenden Bildungsjahres, die spätestens bis zum 28. Februar schriftlich und nachweislich datiert eingelangt sein muss. Dies ist auch dann zu beachten, wenn ein Kind im Einzelfall während eines laufenden Bildungsjahres in die Kindervilla eingetreten ist.“

Klausel 7:
„Bei Vorliegen schwerwiegender Gründe ist es der Kinderbildungseinrichtung Kindervilla jederzeit möglich, das Betreuungsverhältnis mit sofortiger Wirkung aufzulösen. Ein solcher schwerwiegender Grund ist zum einen das Vorliegen eines qualifizierten Zahlungsrückstandes trotz Mahnung und Gewährung einer Nachfrist und zum anderen eine grundsätzliche und schwerwiegende mangelnde Identifikation mit der Philosophie und dem pädagogischen Konzept der Kindervilla, oder wenn sich nach Dafürhalten der Pädagogischen Leitung und deren alleinigem Urteil bei einem Kind nach einer angemessenen Probezeit und Eingewöhnung zeigt, dass die Voraussetzungen für eine gelingende Inklusion nicht gegeben sind.“

Verstoß gegen § 6 Abs 1 Z 1 KSchG, § 6 Abs 2 Z 1 KSchG und 879 Abs 3 ABGB.
Der OGH sieht hier die Bindungsfrist von bis zu eineinhalb Jahren als unangemessen lange iSd § 6 Abs 1 Z 1 KSchG an: In den Fällen aber, in denen Kinder erst nach dem 28. Februar des ersten Bildungsjahres in die Kinderkrippe eintreten, ergibt sich durch eine erst zum Ende des nächsten Bildungsjahres (31. August) mögliche Kündigung eine Bindungsfrist von bis zu eineinhalb Jahren. Diese lange Bindungsfrist kann aber auch mit den gesetzlichen Regelungen zum Bildungsjahr, den Grundkenntnissen der Pädagogik (die Kinder benötigen Konstanz, gewohnte Umgebung, gleichbleibende Betreuer) und der erforderlichen Planbarkeit für die Einstellung von geeigneten Betreuungspersonen nicht mehr gerechtfertigt werden.
Der OGH stellt weiters fest: Die Formulierungen der Gründe „eine grundsätzliche und schwerwiegende mangelnde Identifikation mit der Philosophie“ und „dem pädagogischen Konzept der Kindervilla“ und „wenn sich nach Dafürhalten der Pädagogischen Leitung und deren alleinigem Urteil bei einem Kind nach einer angemessenen Probezeit und Eingewöhnung zeigt, dass die Voraussetzungen für eine gelingende Inklusion nicht gegeben sind“ sind unpräzise. Es ist nicht erkennbar, wann die Auflösungsgründe erfüllt sind, was unter „Identifikation mit der Philosophie“, „pädagogischem Konzept der Kindervilla“ oder „gelingende Inklusion“ zu verstehen ist. Auch hängt es alleine vom Werturteil des Beklagten („nach dem Dafürhalten“, „alleinigem Urteil“) ab, ob der Kündigungsgrund „gelingende Inklusion“ erfüllt ist, was jedenfalls gröblich benachteiligend im Sinne des § 879 Abs 3 ABGB ist. Zudem ist die Dauer der „Probezeit“ nicht klar definiert. Was genau unter angemessener Probezeit und Eingewöhnungsphase zu verstehen ist, geht aus der Klausel nicht hervor und wird unter Berücksichtigung des restlichen Wortlauts der Klausel vom Beklagten abhängen. Das ist wiederum gröblich benachteiligend und intransparent und verstößt gegen § 6 Abs 2 Z 1 KSchG. Zudem sind die wechselseitigen Vertragspositionen unausgewogen. Der Beklagte behält sich die jederzeitige Auflösung des Betreuungsverhältnisses bei bestimmten genannten „schwerwiegenden Gründen“ vor, gesteht eine derartige Möglichkeit seinen Vertragspartnern aber nicht zu. Nicht einmal ein Probemonat wird ihnen eingeräumt.

OGH 23.10.2024, 9 Ob 68/24a RIS - 9Ob68/24a - Entscheidungstext - Justiz

Klagsvertreter: RA Dr. Stefan Langer, Rechtsanwalt in Wien

Über 2 Klauseln wurde bereits vom LG Innsbruck (14 Cg 41/23h) rechtskräftig mit Teilanerkenntnisurteil entschieden. Die Beklagte ist verpflichtet, die Verwendung der beiden Klauseln oder die Verwendung sinngleicher Klauseln zu unterlassen:
Klausel 4:
Diese Beträge gelten bis [...] und werden dann indexmäßig neu verlautbart.

Klausel 5:
Die jährliche Anpassung wird indexgemäß vorgenommen

 

Anmerkung:
Nach Rechtsansicht des VKI stehen Betroffenen grundsätzlich Rückzahlungsansprüche in Hinblick auf die Einschreibgebühr, die Kaution und die zu viel geleisteten Monatsbeiträge zu.

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