Die klagende Partei (VSV) ist ein Verein zum Schutz von Verbraucherinteressen. Die beklagte Partei, eine 100%-ige Enkelgesellschaft der Stadt Klagenfurt, betreibt ein Energieversorgungsunternehmen.
Die klagende Partei begehrte Unterlassung der Verrechnung einer Gebühr für die Benützung öffentlichen Gemeindegrundes der Stadt Klagenfurt durch Anlagen zur Stromversorgung gegenüber Verbraucher:innen. Die klagende Partei erfülle alle Kriterien einer qualifizierten Einrichtung gemäß der EU-Verbandsklagen-Richtlinie (RL 2020/1828; Art 4 Abs 3 Verbandsklagen-RL). Aufgrund der fehlenden Umsetzung der Richtlinie durch die Republik Österreich stützt die klagende Partei sich auf deren unmittelbare Anwendbarkeit. In inhaltlicher Hinsicht ergebe sich die Gesetzwidrigkeit aus § 51 Abs 2 ElWOG, welcher jene Entgelte anführt, die von Netzbetreibern verrechnet werden dürfen, wozu ein Entgelt für die Nutzung des Gemeindegrundes nicht zähle.
Verbandsklagen-Richtlinie unmittelbar anwendbar
Die Verbandsklagen-RL hat die unionsweite Sicherstellung eines Verbandsklageverfahrens zum Ziel. Insbesondere sollen Verbraucherorganisationen als qualifizierte Einrichtungen Verbandsklagen erheben können. Die Richtlinie hätte bis zum 25. Dezember 2022 umgesetzt werden müssen; dies ist bis dato nicht geschehen, demzufolge Österreich mit der Umsetzung säumig ist.
Art 4 Abs 3 Verbandsklagen-RL beinhaltet eine detaillierte Aufzählung der Kriterien, die Verbraucherorganisationen erfüllen müssen, um als qualifizierte Einrichtung eine grenzüberschreitende Verbandsklage erheben zu können. In Art 4 Abs 5 der RL wird den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeräumt, dieselben Kriterien für innerstaatliche Verbandsklagen festzusetzen.
Durch die genaue Aufzählung der Kriterien ist die Verbandsklagen-RL hinsichtlich der qualifizierten Einrichtungen inhaltlich unbedingt und hinreichend klar im Sinn der einschlägigen EuGH-Rechtsprechung (vgl EuGH C-6-90 und C-9/90, Francovich). Auch die in Art 4 Abs 5 der RL eingeräumte Möglichkeit schadet der unmittelbaren Anwendbarkeit nicht; die Voraussetzungen für die Erhebung einer grenzüberschreitenden Verbandsklage durch eine qualifizierte Einrichtung bilden die äußerste Grenze des Gestaltungsspielraums hinsichtlich der Kriterien für eine innerstaatliche Verbandsklage.
Zum Schutz der Interessen der Verbraucher:innen sollen qualifizierte Einrichtungen gem Art 7 Abs 4 Verbandsklagen-RL zumindest Unterlassungs- und Abhilfeklagen geltend machen können. Art 8 der RL betreffend Unterlassungsentscheidungen ist inhaltlich unbedingt und klar.
Nach Art 2 Abs 1 Verbandsklagen-RL bedarf es eines Verstoßes durch Unternehmer:innen gegen die im Anhang I enthaltenen unionsrechtlichen Vorschriften (sowie deren Umsetzungsbestimmungen), welcher die Kollektivinteressen der Verbraucher:innen beeinträchtigt oder zu beeinträchtigen droht. Z 24 Anhang I nennt die RL 2009/72/EG betreffend den Elektrizitätsbinnenmarkt. Das ElWOG stellt die nationale Umsetzung dieser Richtlinie dar.
Sämtliche der genannten Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben; bei ordnungsgemäßer Umsetzung der Verbandsklagen-RL wäre die klagende Partei als qualifizierte Einrichtung benannt worden und hätte im Zuge einer Verbandsklage eine Unterlassungsentscheidung begehren können. Die beklagte Partei als 100%-ige Enkelgesellschaft der Stadt Klagenfurt ist dem Staat zuzurechnen.
Aus all dem folgt die Aktivlegitimation des klagenden Verbraucherschutzvereins.
Verrechnung einer Gemeindebenützungsabgabe zulässig
In inhaltlicher Hinsicht ist die beklagte Partei aufgrund der Verordnung Zl. AG-34/657/2022 zur Einhebung einer Benützungsabgabe berechtigt. Diese Verordnung steht im Einklang mit dem K-GGBG, das wiederum seine verfassungsrechtliche Grundlage in Art 8 Abs 5 F-VG findet. Im Übrigen sind Gebrauchsabgaben für die Nutzung öffentlichen Grundes auch in § 59 Abs 6 Z 5 ElWOG ausdrücklich berücksichtigt.
Die Gemeindebenützungsangabe ist daher gesetzmäßig; der geltend gemachte Unterlassungsanspruch besteht nicht.
Auch die Höhe der Abgabe (6 % des Nettoerlöses aus der Versorgungsleistung des Unternehmens; § 2 Abs 1 K-GGBG) und die Verrechnung von Umsatzsteuer auf die Benützungsabgabe seitens der beklagten Partei, deren Unterlassung eventualiter beantragt wurde, sind nicht zu beanstanden.
Die Klagebegehren wurden sämtlich abgewiesen. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.
LG Klagenfurt 20.03.2024, 77 Cg 49/23m – nicht rechtskräftig
Klagsvertreter: RA Mag. Ulrich Salburg
Anmerkung
Die Umsetzung der Verbandsklagen-Richtlinie hätte am 25.6.2023 in Kraft treten müssen (Art 22 leg cit). Österreich ist mit der Umsetzung nach wie vor säumig, ein Begutachtungsverfahren wurde bis dato nicht eingeleitet. Daher wird seither diskutiert, ob und welche Vorgaben der Richtlinie insbesondere in Zusammenhang mit der Unterlassungsklage (Art 8, Art 16 leg cit) ausreichend „klar“, „präzise“, „unbedingt“, „ohne Ermessen“, und damit iSd Rechtsprechung des EuGH auch ohne nationale Umsetzung unmittelbar anzuwenden sind.
Für die Verbandsklagen nach §§ 28, 28a KSchG, § 14 UWG ist diese Frage im Besonderen deshalb von wesentlicher Bedeutung, weil die Richtlinie den Anwendungsbereich für Verbandsklagen von bisher 15 auf 69 EU-Rechtsakte erweitert, und damit – wie im hier vom LG Klagenfurt entschiedenen Fall zum ElWOG – gravierende Rechtsschutzlücken des geltenden Rechts schließt (Art 2 Abs 1 iVm Anhang I Verbandsklagen-Richtlinie). Anders als nach geltendem Recht geht mit der Einbringung der Verbandsklage ferner nach der Richtlinie zwingend eine Verjährungshemmung für die Ansprüche sämtlicher betroffener Verbraucher:innen einher (Art 16 Abs 1 Verbandsklagen-RL).
Nähere Informationen zu den Vorgaben der Richtlinie und den Umsetzungsoptionen im nationalen Recht finden Sie im untenstehenden Beitrag von Leupold, Die neue Verbandsklagen-Richtlinie – ausgewählte Auslegungs- und Umsetzungsfragen, in Reiffenstein/Blaschek (Hrsg), Konsumentenpolitisches Jahrbuch 2021 (2021) 71