Die Beklagte betreibt ein Energievertriebsunternehmen. Sie besitzt keine eigenen Produktionsstätten für Strom und Gas; die gesamte Energiemenge, die sie an ihre Kund:innen absetzt, wird zugekauft.
Der VKI beanstandete zwei von der Beklagten im Geschäftsverkehr gegenüber Konsument:innen verwendete AGB-Klauseln betreffend die indexbasierte Preisanpassung, wobei sich eine Klausel auf die Lieferung von elektrischer Energie bezieht und die andere Klausel auf die Lieferung von Erdgas.
Klausel 1 (Strom):
„Für die erste indexbasierte Änderung aufgrund dieser Allgemeinen Lieferbedingungen gilt: Ist der ÖSPI-Monatswert für August 2022 („Index-Vergleichswert“) um mehr als 4 Punkte höher oder niedriger als der jeweilige Index-Ausgangswert, wird der Verbrauchspreis im gesamten Ausmaß der jeweiligen prozentuellen Index-Veränderung (kaufmännisch gerundet auf zwei Kommastellen) ab dem 01.09.2022 erhöht oder gesenkt.“
Vorfragen: § 80 Abs 2a ElWOG ist anwendbar und begründet kein gesetzliches Preisänderungsrecht
§ 80 Abs 2a ElWOG betreffend die Änderung von vertraglich vereinbarten Entgelten von Verbraucher:innen ist auf diese Klausel zwingend anwendbar. Diese Gesetzesbestimmung gewährt (entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung) kein gesetzliches Preisänderungsrecht der Stromversorger.
§ 80 Abs 5 ElWOG verweist auf die uneingeschränkte Geltung des ABGB, was so zu deuten ist, dass auch eine Preisänderung nach § 80 Abs 2a ElWOG einer vertraglich vereinbarten Grundlage bedarf und somit auch der Kontrolle nach § 864a (Geltungskontrolle) und § 879 Abs 3 ABGB (Inhaltskontrolle) standhalten muss. Das bedeutet, dass auch die Änderung des für die Entgeltbestimmung maßgeblichen Umstandes nicht nur den Anforderungen des § 80 ElWOG zu entsprechen hat, sondern auch jenen des ABGB und auch des KSchG, soweit letzteren nicht durch § 80 Abs 2a, 5 ElWOG derogiert wurde.
Verstoß gegen § 864a ABGB (Geltungskontrolle)
Die Strom-Klausel ist nachteilig für die Kund:innen der Beklagten, weil durch sie der zuvor mit den Kund:innen vereinbarte nächste Stichtag für Preisänderungen in einer Phase exorbitanter Energiepreisansteige um mehrere Monate (von 01.01.2023 auf 01.09.2022) vorgezogen wurde, wodurch die Preiserhöhungen früher auf die Kund:innen abgewälzt werden konnten.
Aus zwei Gründen ist die Bestimmung auch ungewöhnlich und insbesondere überraschend iSd § 864a ABGB. Einerseits können Kund:innen Preisänderungen widersprechen (den Vertrag kündigen) und nach Widerspruch (Kündigung) für drei Monate zu unveränderten Preisen bis zum Vertragsende weiter beliefert werden (§ 80 Abs 2, 2a, 2b ElWOG). Die gegenständliche Preisänderungsklausel beinhaltet somit auch eine unausgesprochene Bestimmung über die Restvertragslaufzeit ab der Ankündigung der AGB-Änderung, womit Kund:innen nicht rechnen müssen.
Überdies ist auch die Änderung des Stichtages für Strom nicht einmal ein Jahr nach den letzten Allgemeinen Lieferbedingungen ohne optische Hervorhebung überraschend. Umso überraschender ist diese Änderung aufgrund eines von der Beklagten versendeten Informationsschreibens (das „Informationsschreiben“), in dem suggeriert wird, dass die Preise für Bestandkunden gleichbleiben würden (im Gegensatz zur tatsächlich vorhergesehenen massiven Preissteigerung) und lediglich eine allgemein-abstrakte Möglichkeit von Preiserhöhungen aufgezeigt wird.
Klausel 1 betreffend Stromlieferungen besteht die Geltungskontrolle daher nicht.
Mehrere Verstöße gegen § 80 ElWOG
Überdies verstößt die Strom-Klausel auch aus mehreren Gründen gegen § 80 ElWOG.
Das Informationsschreiben enthält nicht die erforderlichen Informationen, sondern verschleiert vielmehr die wahren Auswirkungen der bevorstehenden Preiserhöhung. Das Informationsschreiben erfüllt daher die Kriterien des § 80 Abs 2a Satz 3 ElWOG nicht. Die Klausel ist somit auch mangels der Formalvoraussetzung eines gesetzmäßigen Informationsschreibens unwirksam. Überdies wurde das Informationsschreiben auch nicht – wie von § 80 Abs 2a Satz 3 ElWOG vorgesehen – ein Monat vor der beabsichtigten Preisänderung an die Kund:innen übermittelt.
Die tatsächlichen Beschaffungskosten der Beklagten konnten im Verfahren nicht im Detail festgestellt werden. Der Österreichische Strompreisindex (ÖSPI) als abstrakte Größe eignet sich angesichts dieser unbekannten tatsächlichen Beschaffungskosten nicht als Maßstab für Änderungen des von der Beklagten festgesetzten Endkundenpreises (Verstoß gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit zwischen Entgeltänderung und Umstandsänderung gem § 80 Abs 2a Satz 1 ElWOG). Selbst wenn die Beschaffungskosten der Beklagten aber dem ÖSPI entsprochen hätten, wäre für sie insofern nichts gewonnen, als sie den ab 01.09. an die Kund:innen verkauften Strom angesichts des massiven Preisanstiegs auf der Großhandelsbörse und der langfristigen Beschaffungsdauer von 9 Monaten zu wesentlich niedrigeren Preisen eingekauft hätte, als sie ihn ab 01.09.2022 ihren Kund:innen verkauft hat. Auch insofern verstößt die Klausel gegen § 80 ElWOG.
Außerdem liegt auch ein Verstoß gegen das Symmetriegebot bei Preisänderungen gem § 80 Abs 2a Satz 2 ElWOG vor. Bei der vorgenommenen Preiserhöhung handelt es sich zwar semantisch um eine zweiseitige Preisänderungsklausel, tatsächlich jedoch um eine anlassbezogene einmalige massive Preiserhöhung, weil alle Parameter für die Preisbildung (insbesondere der massive Anstieg der Großhandelsbörsepreise) bereits im Vorfeld abschließend bekannt waren.
Klausel 2 (Gas):
„Für die erste indexbasierte Änderung aufgrund dieser Allgemeinen Lieferbedingungen gilt: Ist der Durchschnitt der letzten 12 veröffentlichten Werte des ÖGPI 2019 („MA* - 12 Monate“) für Juli 2022 („Index-Vergleichswert“) um mehr als 4 Punkte höher oder niedriger als der jeweilige Index-Ausgangswert, wird der Verbrauchspreis im gesamten Ausmaß der jeweiligen prozentuellen Index-Veränderung (kaufmännisch gerundet auf zwei Kommastellen) ab dem 01.09.2022 erhöht oder gesenkt.“
Verstoß gegen § 864a ABGB (Geltungskontrolle)
Auch diese Klausel betreffend Gaslieferungen besteht die Geltungskontrolle des § 864a ABGB nicht; und zwar aus den (im Wesentlichen) selben Gründen wie die Strom-Klausel. Spezielle Vorfragen stellten sich hier nicht, weil § 125 GWG keine Einschränkungen in der Anwendung des ABGB und des KSchG vorsieht.
Unwirksamkeit gem § 125 GWG
Die Klausel ist auch deshalb unwirksam, weil die Beklagte den Kund:innen keine angemessene Frist für den Widerspruch samt der dann noch verbleibenden Restvertragsdauer eingeräumt hat.
Beide Klauseln intransparent iSd § 6 Abs 3 KSchG
Das Transparenzgebot des KSchG verlangt, dass Inhalt und Tragweite vorgefasster Vertragsklauseln für Verbraucher:innen durchschaubar sind; dass diesen also die wirtschaftliche Tragweite der Bestimmungen nicht verschleiert wird. Gerade dies ist hier aber der Fall, weil für Kund:innen – insbesondere im Zusammenspiel mit dem von der Beklagen versendeten Informationsschreiben – der wirtschaftliche Gehalt der Klauseln nicht klar hervorgeht.
Die bloße Referenzierung auf die Großhandelsindices ÖSPI und ÖGPI (Österreichischer Gaspreisindex) ohne nachvollziehbare Darstellung, wie diese Indices gebildet werden, ist bereits für sich genommen intransparent.
Beide Klauseln sind daher auch intransparent iSd § 6 Abs 3 KSchG.
LG Wiener Neustadt, 20.03.2024, 55 Cg 62/22v (nicht rk)
Klagsvertreter: RA Dr. Stefan Langer
Das Urteil im Volltext finden Sie hier: