Folgende Klauseln beurteilte das HG Wien als unzulässig:
Klausel 1:
Kein Versicherungsschutz besteht für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen […] in unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang mit hoheitsrechtlichen Anordnungen, die aufgrund einer Ausnahmesituation an eine Personenmehrheit gerichtet sind.
Die im gebotenen kundenfeindlichsten Sinn erfolgte Prüfung der Klausel durch das HG Wien ergab, dass schon kein Versicherungsschutz für Rechtstreitigkeiten besteht, die in einem wie auch immer gearteten „Zusammenhang“ mit jeglicher Form von „hoheitlichen Maßnahmen“ stehen, die in einer bloß vom „Normfall“ abweichenden Situation erlassen werden und von der mehrere betroffen sind.
Laut HG Wien weicht dieser überaus weite Ausschluss von den berechtigten Erwartungen des Versicherungsnehmers ab, der Rechtsschutz benötigt, und einerseits sehr wohl und gerade in einer bloß vom Normfall abweichenden Situation und bei einer bloß einige betreffenden Anordnung mit einer Deckung rechnet, und andererseits auch in einer „Ausnahmesituation“ eine konkrete Verknüpfung zwischen Rechtsstreit und Maßnahme vor Augen haben wird. Das HG Wien verweist in dem Zusammenhang auf die rechtskräftige Entscheidung des OLG Wien, 5 R 13/21z.
Eine sachliche Rechtfertigung für einen derart unbestimmten Ausschluss ist für das HG Wien nicht erkennbar. Es ist nicht ersichtlich, welche Zusammenhänge übrig bleiben, wenn sowohl unmittelbare als auch mittelbare ausgeschlossen sind. Das HG Wien sah die Klausel daher als gröblich benachteiligend iSd § 879 Abs 3 ABGB an.
Das HG Wien pflichtete dem VKI bei, dass die Begriffe „mittelbarer oder unmittelbarer Zusammenhang“, „hoheitsrechtliche Anordnungen“, „Ausnahmesituation“ und „Personenmehrheit“ sowohl für sich als auch im Gesamtzusammenhang unbestimmt sind und die Klausel insgesamt nicht den Anforderungen des Transparenzgebots genügt. Was genau eine „Wahrnehmung rechtlicher Interessen […] in unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang mit hoheitsrechtlichen Anordnungen“ ist, und ob es einen Unterschied macht, gegen wen Ansprüche verfolgt oder abgewehrt werden sollen (etwa die „anordnende Hoheit“ oder Dritte), bleibt – wie das HG Wien ausführt - offen.
Hoheitsrechtliche Anordnungen“ [„die aufgrund einer Ausnahmesituation an eine Personenmehrheit gerichtet sind“] haben laut HG Wien weder im allgemeinen noch im juristischen Sprachgebrauch einen definierten Bedeutungsinhalt, sondern einen weiten Begriffshof. Ist Auslöser der zu deckenden Rechtsstreitigkeit nicht ein österreichisches Bundesgesetz, sondern etwa ein allgemeiner oder individueller Akt der Gerichtsbarkeit, Verwaltung oder Vollziehung, eine Vorschreibung der Finanz, unverbindliche, aber von der Regierung, den Sozialpartnern oder einem Fachverband verlautbarte „Standards“, eine Reisewarnung des Außenministeriums, oder auch allgemeine oder individuelle Reise- und Frachtbeschränkungen eines anderen Staates, kann der Versicherungsnehmer aufgrund der Formulierung der Klausel seinen Versicherungsschutz nicht zweifelsfrei beurteilen und wird somit über seine Ansprüche im Unklaren gelassen und uU von deren Durchsetzung abgehalten. Für das HG Wien bleibt offen, ob von dieser Anordnung mehrere Personen konkret (bis hin zu einer namentlichen Nennung) oder abstrakt (Geltung für die Allgemeinheit, eine Branche oder bloß einen räumlichen Bereich) und in welcher Form betroffen sein müssen, und ob darunter etwa auch Individualakte fallen, die jedoch gleichlautend in großer Zahl erlassen werden.
Auch der Begriff „Ausnahmesituation“ wurde vom HG Wien als intransparent beurteilt, nicht zuletzt, weil es an jeglicher Definition der „Regelsituation“ und der erforderlichen qualitativen und/oder quantitativen Abweichungen fehlt.
Im Ergebnis ist daher die Klausel nach Auffassung des HG Wien insgesamt wegen Intransparenz iSd § 6 Abs 3 KSchG zu verbieten, weil dem Verbraucher damit ein unklares Bild seiner vertraglichen Position vermittelt und er dadurch uU von der Durchsetzung seiner Rechte abgehalten wird. Von der Beklagten ist laut HG Wien sehr wohl zu verlangen, dass sie die Wechselwirkung zwischen der primären Risikoumgrenzung und den Risikoausschlüssen nachvollziehbar regelt.
Klausel 2:
Wenn die Kündigung nicht spätestens ein Monat vor Ablauf der Vertragsdauer beim Versicherer einlangt, verlängert sich der Versicherungsvertrag auf unbestimmte Zeit.
Gemäß § 6 Abs 1 Z 2 KSchG sind Vertragsbestimmungen nichtig, wonach ein bestimmtes Verhalten des Verbrauchers als Abgabe oder Nichtabgabe einer Erklärung gilt, es sei denn, der Unternehmer weist den Verbraucher fristgerecht auf die Bedeutung seines Verhaltens besonders hin und hat dem Verbraucher zur Abgabe einer ausdrücklichen Erklärung eine angemessene Frist eingeräumt.
In der inkriminierten Klausel wird lediglich darauf hingewiesen, dass vom Versicherungsnehmer aktiv gekündigt werden kann. Der Klausel ist jedoch nicht zu entnehmen, dass die gesonderte Hinweispflicht auch die vom Gesetz geforderte Erklärung umfasst, welche Folgen ein „Nicht-Tätigwerden“, also ein Schweigen des Versicherungsnehmers hat.
Zudem ist der zur Erfüllung der Hinweispflicht von der Beklagten für sich selbst eingeräumte Zeitrahmen von „frühestens fünf Monate und spätestens drei Monate vor Ablauf der vereinbarten Vertragsdauer“ bei einem für zwölf Monate abgeschlossenen Vertrag nach Ansicht des HG Wien zu weit gefasst. Legt man zugrunde, dass das Kündigungsschreiben spätestens ein Monat vor vereinbartem Vertragsende bei der Beklagten einlangen muss, kann laut HG Wien nicht davon ausgegangen werden, dass eine Erinnerung bzw. der Hinweis vier Monate vor diesem Zeitpunkt (also kurz nach der Hälfte der vereinbarten Vertragsdauer) unmittelbar vor dem Beginn der für die Kündigung einzuhaltenden Frist erfolgt ist.
Das HG Wien untersagte die Klausel daher aufgrund des Verstoßes gegen § 6 Abs 1 Z 2 KSchG.
Klausel 3:
Unabhängig vom Verfahrensausgang besteht kein Versicherungsschutz, wenn der Versicherte bereits mindestens einmal rechtskräftig wegen eines einschlägigen Vorsatzdeliktes verurteilt wurde.
§ 1 Abs 4 TilgG besagt, dass der Verurteilte fortan als gerichtlich unbescholten gilt, wenn eine Verurteilung getilgt ist, soweit dem nicht eine andere noch ungetilgte Verurteilung entgegensteht. Gilt der Verurteilte fortan als „gerichtlich unbescholten“, so bedeutet dies, dass die Tat und die Verurteilung dem Verurteilten im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht mehr zum Nachteil eines Verurteilten verwendet werden dürfen. Aus getilgten Verurteilungen dürfen keine dem Täter nachteiligen Konsequenzen mehr abgeleitet werden.
Daraus schlussfolgert das HG Wien, dass dem Versicherungsnehmer getilgte Verurteilungen vom Versicherer nicht entgegengehalten werden dürfen, wenn ersterer selbst vor Gerichten und Verwaltungsbehörden als unbescholten gilt, ihm insbesondere keine Rückfallsvoraussetzungen angelastet werden können und er so zu behandeln ist, als wäre nie eine Verurteilung erfolgt. Eine Berücksichtigung getilgter Verurteilungen erachtete das HG Wien daher als gröblich benachteiligend iSd § 879 Abs 3 ABGB.
Dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer darf zudem – wie das HG Wien ausführt - nicht unterstellt werden, er könne zweifelsfrei feststellen, ob eine bereits ergangene Verurteilung hinsichtlich des Versicherungsfalles, für den um Deckung angesucht wird, einschlägig ist, wenn selbst zwischen herrschender Lehre und Rechtsprechung entsprechende Diskrepanzen bestehen. Die Klausel wurde vom HG Wien daher auch als intransparent gemäß § 6 Abs 3 KSchG beurteilt.
Klausel 4:
Das Wahlrecht nach Pkt. 1. und 2. bezieht sich nur auf Personen, die ihren Kanzleisitz am Ort des Gerichtes oder der Verwaltungsbehörde haben, die für das durchzuführende Verfahren in erster Instanz zuständig ist. Wenn am Ort dieses Gerichtes oder der Verwaltungsbehörde nicht mindestens vier solche Personen ihren Kanzleisitz haben, erstreckt sich das Wahlrecht auf eine im Sprengel des zuständigen Landesgerichtes ansässige vertretungsbefugte Person.
Richtig ist laut HG Wien, dass die Klausel der Bestimmung des § 158k Abs 2 VersVG entspricht, wonach im Versicherungsvertrag vereinbart werden kann, dass der Versicherungsnehmer zu seiner Vertretung in einem Gerichts- oder Verwaltungsverfahren nur eine solche Person wählen darf, die ihren Kanzleisitz am Ort des Gerichts – oder der Verwaltungsbehörde – hat, die für das Verfahren in erster Instanz zuständig ist.
Im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH, 10. 9. 2009, Rs C-199/08, betreffend eine Einschränkung des Rechtsschutzversicherten auf freie Anwaltswahl in Gerichts- und Verwaltungsverfahren gebietet sich für das HG Wien allerdings eine einschränkende Auslegung dahin, dass ein Versicherungsnehmer auch einen nicht ortsansässigen Rechtsvertreter wählen kann, jedenfalls wenn dieser verbindlich erklärt, seine Leistungen wie ein ortsansässiger Vertreter zu verrechnen, da damit der Sinn und Zweck dieser Klausel (kostensparende und prämiensenkende Wirkung) gewahrt bleibt (RS0125556).
Das HG Wien führt daher aus: „Zwar orientiert sich die Klausel am Gesetzestext, jedoch lässt sie die vor dem Hintergrund der genannten Entscheidung des EuGH erforderliche Information weg, dass bei richtlinienkonformer Auslegung unter bestimmten Voraussetzungen auch ein nicht ortsansässiger Rechtsanwalt gewählt werden kann. Sie erweist sich also insoweit als unvollständig und damit als intransparent nach § 6 Abs 3 KSchG (7 Ob 156/20x).“
Leistungsfrist:
Die Leistungsfrist für das Unterlassen der Verwendung der Klauseln wurde vom HG Wien mit sechs Monaten bestimmt.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig (Stand: 05.04.2022).
HG Wien 14.03.2022, 53 Cg 18/21z
Klagsvertreter: Dr. Stefan LANGER, Rechtsanwalt in Wien
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