Zum Inhalt

OGH: Banken dürfen für pandemiebedingte Stundung keine Sollzinsen verrechnen

Der VKI hatte im Auftrag des Sozialministeriums die Bawag P.S.K. geklagt. Gegenstand des Verfahrens war die Frage, ob Banken während der gesetzlich angeordneten, pandemiebedingten Kreditstundung (sog Kreditmoratorium) Sollzinsen verlangen dürfen. Das Gesetz zu dem Kreditmoratorium nahm dazu nicht ausdrücklich Stellung. Diese Frage war seit Einführung des Gesetzes ein Streitpunkt zwischen der Bankenbranche und Konsumentenschützer:innen, die der OGH nun zu Gunsten der Verbraucher:innen entschied. Der VKI fordert die Banken auf, bei laufenden Krediten die Konten der betroffenen Verbraucher:innen von sich aus richtigzustellen. Für Kreditnehmer:innen mit bereits ausgelaufenen Krediten stellt der VKI einen kostenlosen Musterbrief zur Verfügung.

Die Bawag stellt im Internet Informationen zu Kreditstundungen nach dem 2. COVID-19-JuBG zur Verfügung. Unter der Frage „Kostet die Stundung etwas? Zahle ich trotzdem weiter Stundungsentgelt?“ steht ua folgender Hinweis: „Während der gesetzlichen Stundung werden für das aushaftende Kapital nach unserer Auslegung des 2. COVID-19-JustizBegleitgesetzes die Sollzinsen Ihrem Kreditkonto weiterhin angelastet. Sie müssen diese allerdings während des gestundeten Zeitraums nicht bezahlen, sondern diese werden im Anschluss auf die restlichen Raten bis zum Laufzeitende verteilt. Dadurch erhöhen sich Ihre monatlichen Raten.“

§ 2 Abs 1 des 2. COVID-19-JuBG ordnete hinsichtlich der im Kreditvertrag vereinbarten (Soll-)Zinsen eine gesetzliche Stundung an. Diese Bestimmung beinhaltet kein Verbot der Verrechnung von Sollzinsen für diesen Zeitraum, wenngleich auch die Zinsen gesetzlich gestundet wurden. Anders als Verzugszinsen fallen die vertraglich vereinbarten (Soll-)Zinsen also grundsätzlich auch während des Stundungszeitraums an. § 2 Abs 1 des 2. COVID-19-JuBG ordnet nicht eine die Fälligkeit unberührt lassende reine Stundung (der Eintreibung), sondern eine echte, die vertragliche Fälligkeit verschiebende Stundung an.

Sofern zwischen den Vertragsparteien keine einvernehmliche Regelung zustande kam, trat gemäß § 2 Abs 6 des 2. COVID-19-JuBG eine automatische Verlängerung der Laufzeit des Kreditvertrags um den zehnmonatigen Stundungszeitraum ein. Für diesen Fall bestimmt das Gesetz dezidiert, dass die jeweilige Fälligkeit der vertraglichen Leistungen um diese Frist hinausgeschoben wird. Auf diese Weise sollte nach der Absicht des Gesetzgebers vermieden werden, dass mit Ablauf des Moratoriumszeitraums die bis dahin gesetzlich gestundeten Ansprüche und die nach diesem Zeitpunkt wieder regulär fällig werdenden Ansprüche parallel zu erfüllen sind. Es soll also im Anschluss an die gesetzliche Stundung der Vertrag wie ursprünglich vereinbart fortgesetzt werden, nur wird die Fälligkeit jeder einzelnen Leistung für den gesamten Vertrag um (letztlich) zehn Monate verschoben, dh es kommt zu einer Änderung des Tilgungsplans. Folglich wurden die an sich im April 2020 fälligen Sollzinsen erst im Februar 2021 fällig, die an sich im Mai 2020 fälligen erst im März 2021 usw.

Ausgehend davon ist aber für die Vorgangsweise der Beklagten, ihren Kreditnehmern (mangels einvernehmlicher Vereinbarung) die kraft gesetzlicher Anordnung erst beginnend mit Februar 2021 monatlich fällig werdenden Sollzinsen für die Monate April 2020 bis Jänner 2021 durch entsprechende Erhöhung der Monatsraten ab Februar 2021 – also zusätzlich – anzulasten, kein Raum.

Dass § 2 Abs 6 des 2. COVID-19-JuBG zu einer Verpflichtung des Kreditnehmers zur Leistung von (in diesem Sinn zusätzlichen) Sollzinsen nichts aussagt, spricht in Wahrheit nicht für, sondern gegen die Auffassung der Vorinstanzen: Hätte der Gesetzgeber vorgehabt, die Kreditnehmer im Anwendungsbereich des § 2 Abs 1 leg cit für den Fall des Nichtzustandekommens einer Vereinbarung mit dem Kreditgeber im Ergebnis mit den Sollzinsen für den Zeitraum der gesetzlichen Stundung – also für zehn Monate mehr als bei Abschluss des Kreditvertrags vorgesehen – zu belasten, wäre es nämlich naheliegend gewesen, dies in irgendeiner Form in der Regelung über die Fälligkeit der zunächst gestundeten Zahlungen festzuhalten.

Es liegt auf der Hand, dass das vom Gesetzgeber angeordnete Kreditmoratorium für (letztlich) zehn Monate mangels einer einvernehmlichen Regelung zwischen Kreditgeber und Kreditnehmer, die (auch) insoweit einen Ausgleich schaffen könnte, entweder zu einer finanziellen Mehrbelastung des Kreditnehmers (durch seine Verpflichtung, für weitere zehn Monate Kreditlaufzeit Sollzinsen zahlen zu müssen) oder aber dazu führen muss, dass der Kreditgeber das (restliche) Kapital erst zehn Monate später erhält, ohne für diese zusätzliche Kreditlaufzeit ein „Entgelt“ (Sollzinsen) zu erhalten.

In den Anwendungsbereich des § 2 des 2. COVID-19-JuBG fallen gerade nicht (regelmäßig revolvierend ausnutzbare) Geschäftskredite, sondern (abgesehen von der in § 2 Abs 7 leg cit angeordneten Erstreckung dieser Regelung auf Kleinstunternehmen) Verbraucherkredite. Durch die Verzögerung der Tilgung des Kredits um zehn Monate ist für einen Kreditnehmer, der durch höhere Gewalt (in Form der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie) in eine wirtschaftliche Notlage geraten ist, daher typischerweise kein finanzieller Nutzen in dem Sinn verbunden, dass er das Geld länger „für sich arbeiten lassen“ kann; vielmehr soll er durch die gesetzliche Stundung vor dem Abgleiten in eine Überschuldung bewahrt werden.

Vor diesem Hintergrund ist aber die aus § 2 Abs 6 des 2. COVID-19-JuBG hervorgehende Wertung des Gesetzgebers, den Kreditnehmer mangels Zustandekommens einer Vereinbarung mit dem Kreditgeber von der Verpflichtung zur Leistung von Sollzinsen für einen gegenüber der kreditvertraglichen Regelung um zehn Monate längeren Zeitraum zu entlasten, durchaus nachvollziehbar.

§ 2 Abs 6 des 2. COVID-19-JuBG beinhaltet mangels einvernehmlicher Regelung als „Notlösung“, dass sich der vom Verbraucher aufgrund des Kreditvertrags insgesamt zu zahlende Gesamtbetrag aufgrund der Stundung nicht erhöhen darf.

Die Bawag darf daher bei Verbraucherkreditverträgen, bei denen es zur Stundung nach § 2 des 2. COVID-19-JuBG gekommen ist, für die Zeit der Stundung dem Konto nicht weiterhin Sollzinsen anlasten und/oder in der Folge, auch in Form erhöhter Pauschalraten, verlangen.

Klagsvertreter: Dr. Stefan Langer, Rechtsanwalt in Wien

OGH 22.12.2021, 3 Ob 189/21x

Zum News.

Anmerkung:

Wir fordern nun alle Banken auf, bei laufenden Krediten die zu Unrecht verrechneten Zinsen von sich aus auf den Kreditkonten rückwirkend gutzuschreiben.

Für jene betroffenen Kreditnehmer:innen, die den Kredit hingegen bereits zurückgezahlt haben, stellen wir einen kostenlosen Musterbrief für die Geltendmachung der Rückforderung zur Verfügung

Lesen Sie bitte zuerst die folgenden Ausführungen darüber, auf welche Verträge diese Entscheidung Anwendung findet.

Für welche Kredite ist die Entscheidung relevant?

Es muss sich um Verbraucherkreditverträge handeln, die vor dem 15. März 2020 abgeschlossen wurden (zusätzlich für gewisse Kleinstunternehmer s § 2 Abs 7 s 2. COVID-19-JuBG).

Es gilt für Verbraucher, die aufgrund der durch die Ausbreitung der COVID-19-Pandemie hervorgerufenen außergewöhnlichen Verhältnisse Einkommensausfälle hatten, die dazu führten, dass ihnen die Erbringung der geschuldeten Leistung nicht zumutbar war. Nicht zumutbar war dem Kreditnehmer die Erbringung der Leistung insbesondere dann, wenn sein angemessener Lebensunterhalt oder der angemessene Lebensunterhalt seiner Unterhaltsberechtigten gefährdet war.

Nicht anwendbar ist dies, wenn die Vertragsparteien eine zulässige abweichende Vereinbarung getroffen haben, zB Verringerung der Rate und Verlängerung der Laufzeit des Kredits.

Der BAWAG PSK wurde vom OGH eine Leistungsfrist von drei Monaten eingeräumt, das heißt hier, dass sie bis erst mit 19.4.2022 die Konten richtigstellen bzw bei bereits ausgelaufenen Krediten, die Zinsen rückerstatten muss.

Diesen Beitrag teilen

Facebook Twitter Drucken E-Mail

Das könnte auch interessant sein:

VKI: OGH beurteilt Kreditbearbeitungsgebühr der WSK Bank als unzulässig

Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) hatte im Auftrag des Sozialministeriums die WSK Bank wegen unzulässiger Klauseln in ihren Kreditverträgen geklagt. Jetzt liegt die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (OGH) vor: Dieser beurteilt diverse Gebühren und Spesenklauseln in den Kreditverträgen als unzulässig, darunter auch die Kreditbearbeitungsgebühr in Höhe von 4 Prozent. Betroffene Kund:innen der WSK Bank haben nach Ansicht des VKI Rückforderungsansprüche.

Timesharing-Anbieter Hapimag – 48 Klauseln unzulässig

Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) hatte die Hapimag AG wegen unzulässiger Klauseln in den AGB ihrer Timesharing-Verträge geklagt. Die Hapimag ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in der Schweiz, die ihren Mitgliedern Ferienwohnungen, Apartments und Hotels zur Verfügung stellt. Der VKI beanstandete 48 Bestimmungen in Geschäftsbedingungen, Reservierungsbestimmungen, Buchungsinformationen und den FAQs des Unternehmens. Das Handelsgericht Wien (HG Wien) erklärte nun alle 48 angefochtenen Klauseln für unzulässig. Wichtigster Aspekt des Urteils: Verbraucherrechtliche Bestimmungen kommen trotz „Aktionärsstatus“ der Kund:innen zur Anwendung. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Unzulässige Gebühren der Unicredit

Der VKI hatte im Auftrag des Sozialministeriums die UniCredit BAnk Austria AG wegen mehreren Gebühren geklagt. Das OLG Wien hat fast alle der eingeklagten Klauseln für unzulässig erklärt.

Krankengeldversicherung: Geltungskontrolle

Krankengeldversicherung: Geltungskontrolle

Ist eine Leistungsbeschränkung für das Krankentagegeld in den Bedingungen für eine Krankengeldversicherung nicht unter der Überschrift „Leistungsvoraussetzungen“, sondern im Kapitel „Beendigung der Versicherung“ enthalten, ist sie ungewöhnlich und damit unwirksam.

Unzulässiger Deckungsausschluss: Hoheitsverwaltungsklausel

Unzulässiger Deckungsausschluss: Hoheitsverwaltungsklausel

Der VKI hatte die ARAG SE Direktion für Österreich wegen drei Ausschlussklauseln in den Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 2020) geklagt. Gegenstand des Verfahrens vor dem OGH war nur noch eine Klausel davon, nämlich die sog Hoheitsverwaltungsklausel.

Unzulässiger Stornoabzug bei UNIQA-Lebensversicherung

Unzulässiger Stornoabzug bei UNIQA-Lebensversicherung

Der VKI hatte die UNIQA Österreich Versicherungen AG geklagt. Inhalt der Klage waren 18 Klauseln aus den AVB für Lebensversicherungen. Während der VKI bereits in den Unterinstanzen die Mehrzahl der Klauseln rechtskräftig gewonnen hatte, waren noch drei Klauseln Gegenstand des Verfahrens vor dem OGH. Der OGH bestätigte nun auch die Gesetzwidrigkeit dieser Klauseln.

unterstützt durch das

Sozialministerium
Zum Seitenanfang