Die klagende Gesellschaft betreibt ein Einrichtungsstudio. Der beklagte Konsument erwarb im Zuge einer Baumesse auf dem Messestand der Klägerin von dieser eine Einbauküche um den Preis von 10.924,70 EUR.
Die AGB der Klägerin sahen ua folgende Klausel vor : „Tritt der Kunde – ohne dazu berechtigt zu sein – vom Vertrag zurück oder begehrt er seine Aufhebung, so haben wir die Wahl, auf die Erfüllung des Vertrages zu bestehen oder der Aufhebung des Vertrages zuzustimmen; im letzteren Fall ist der Kunde verpflichtet, nach unserer Wahl einen pauschalierten Schadenersatz in Höhe von 20 % des Bruttorechnungsbetrages oder den tatsächlich entstandenen Schaden zu bezahlen.“
Der Kunde trat vom Kaufvertrag zurück. Bei Erfüllung des Kaufvertrags wäre der Klägerin ein Gewinn von insgesamt 5.270,60 EUR verblieben. Die Klägerin begehrte diesen Betrag als vertraglichen Schadenersatz; sie stützt im Prozess ihren Anspruch nicht auf ihre AGB, sondern auf dispositive Bestimmungen des Zivilrechts (§ 921 ABGB).
Im drittinstanzlichen Verfahren ist nicht mehr strittig, dass der Beklagte vom Kaufvertrag zu Unrecht zurückgetreten ist. Die pauschale Festlegung einer Stornogebühr von 20 % ist wegen der unangemessenen Höhe der Stornogebühr als gröblich benachteiligend iSd § 879 Abs 3 ABGB (und damit missbräuchlich iSd Art 6 Abs 1 Klausel-RL) zu qualifizieren.
Vorlagefrage 1. „Sind Artikel 6 Abs 1 und Art 7 Abs 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (im Folgenden: Klausel-RL) so auszulegen, dass bei der Prüfung eines vertraglichen Schadenersatzanspruchs des Unternehmers gegenüber dem Verbraucher, den jener auf einen unberechtigten Vertragsrücktritt des Verbrauchers stützt, die Anwendung von dispositivem nationalen Recht bereits dann ausgeschlossen ist, wenn in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (im Folgenden: AGB) des Unternehmers eine missbräuchliche Klausel enthalten ist, die dem Unternehmer neben den Vorschriften des dispositiven nationalen Rechts gegen einen vertragsbrüchigen Verbraucher wahlweise einen pauschalierten Schadenersatzanspruch zubilligt?“
Vom EuGH wurde die Befugnis zum Ersetzen einer Klausel durch dispositives Recht dann als zulässig betrachtet, wenn ein Vertrag nach Wegfall einer missbräuchlichen Klausel nicht mehr durchführbar ist (C-26/13, Kásler, Rn 85), oder wenn sich die ersatzlose Streichung der missbräuchlichen Klausel nachteilig auf die Rechtssituation des Verbrauchers auswirken würde (C-482/13, C-484/13, C-485/13 und C-487/13, Unicaja Banco SA und Caixabank SA).
Ist eine Klausel missbräuchlich und wird folglich für nichtig erklärt, und kann der Vertrag ohne diese Klausel fortbestehen, hat laut EuGH (C-229/19 und C-289/19, Dexia) der Verkäufer keinen Anspruch auf die Entschädigung, die in einer dispositiven Vorschrift des nationalen Rechts vorgesehen ist, die ohne diese Klausel anwendbar gewesen wäre (Rn 67). Dies dient der Abschreckung.
Daraus könnte auch für den Anlassfall abgeleitet werden, dass auf die Regelungen des dispositiven Rechts bereits wegen der schlichten Existenz einer missbräuchlichen und daher nicht anwendbaren Klausel nicht zurückgegriffen werden darf. Ein solches Ergebnis widerspricht laut OGH aber diametral der Systematik und den Wertungen des Zivilrechts. Auch der EuGH anerkennt, dass der nationale Gesetzgeber mit den Bestimmungen des dispositiven Rechts ein Gleichgewicht zwischen den Interessen der Vertragsparteien herstellen will (EuGH, C-260/18, Dziubak, Rn 60). Daher wird der EuGH hier um Klarstellung ersucht.
Für den Fall der Bejahung der Frage 1:
Vorlagefrage 2. „Ist eine solche Anwendung von dispositivem nationalen Recht auch dann ausgeschlossen, wenn der Unternehmer seine Schadenersatzforderung gegenüber dem Verbraucher nicht auf die Klausel stützt?“
Der geltend gemachte Schadenersatzanspruch kann ausschließlich auf Bestimmungen des dispositiven Rechts gestützt werden kann. Die Klägerin stützte ihren Anspruch auf das dispositive Recht und nicht auf die missbräuchliche Klausel, während in dem der EuGH-Entscheidung Dexia zugrundeliegenden Fall die Klausel verwendet wurde. Damit erachtet der Senat im Anlassfall die Anwendung des nationalen dispositiven Rechts nicht für ausgeschlossen, dies ungeachtet des Umstands, dass die Festlegung eines pauschalierten Schadenersatzes von 20 % als missbräuchlich zu qualifizieren ist. Das steht auch nicht im Widerspruch zum Gebot der amtswegigen Wahrnehmung der Nichtigkeit von Klauseln sobald das Gericht über die hierzu erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügt (EuGH C-154/15, Gutiérrez Naranjo, Rn 58 f). Eine amtswegige Wahrnehmung der Nichtigkeit sollte demnach nur in Betracht kommen, wenn der Klausel für die Beurteilung des klagsgegenständlichen Anspruchs unmittelbare Relevanz zukommt.
Für den Fall der Bejahung der Fragen 1 und 2:
Vorlagefrage 3. „Widerspricht es den genannten unionsrechtlichen Bestimmungen, dass bei einer Klausel, die mehrere Regelungen (etwa alternative Sanktionen bei einem unberechtigten Vertragsrücktritt) enthält, jene Teile der Klausel im Vertragsverhältnis aufrecht bleiben, die ohnedies dem dispositivem nationalen Recht entsprechen und nicht als missbräuchlich zu qualifizieren sind?“
Nach der Rechtsprechung des EuGH darf das nationale Gericht den Vertrag nicht durch Abänderung des Inhalts einer Klausel anpassen, deren Nichtigkeit es in einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher feststellt. Auch vom OGH wird (auch im Individualprozess) dieses sogenannte „Verbot der geltungserhaltenden Reduktion“ vertreten. Dabei ist allerdings zu klären, ob das Gesagte auch für teilbare Klauseln gilt. Die im Anlassfall in der Klausel normierten Sanktionen stehen dem Unternehmer wahlweise zur Verfügung. Neben dem als missbräuchlich zu qualifizierenden Anspruch auf einen hohen pauschalen Schadenersatz ist der alternativ mögliche Rückgriff auf den tatsächlich entstandenen Schaden nach Ansicht des Senats unbedenklich, zumal dies dem dispositivem Recht entspricht. Es bedarf der Klärung durch den EuGH, ob es der Klausel-RL widerspricht, wenn in einem solchen Fall nicht die Gesamtunwirksamkeit der Klausel angenommen wird.