Ein Fluggast hatte bei der beklagten Fluglinie einen Flug gebucht, der am selben Tag wegen eines Pilotenstreiks bei der beklagten Fluglinie annulliert wurde. Der Streik wurde von der Gewerkschaft, die die Piloten vertrat, nach Scheitern von Verhandlungen über einen neuen Tarifvertrag ausgerufen. Er dauerte 7 Tage.
Die beklagte Fluglinie verweigerte die Ausgleichszahlung des Fluggastes in Berufung auf Art 5 Abs 3 Fluggastrechte-VO 295/91. Demnach muss ein Luftfahrtunternehmen keine Ausgleichszahlungen bei Annullierungen leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.
Laut EuGH fallen Streikmaßnahmen, die durch den Streikaufruf einer Gewerkschaft von Beschäftigten eines ausführenden Luftfahrtunternehmens eingeleitet wurden und bei denen die Anforderungen des nationalen Rechts – insb die darin für die Vorankündigung vorgesehene Frist – beachtet werden, mit denen die Forderungen der Beschäftigten dieses Unternehmens durchgesetzt werden sollen und denen sich eine für die Durchführung eines Fluges erforderliche Beschäftigtengruppe anschließt, nicht unter den Begriff „außergewöhnlicher Umstand“ iSd Fluggastrechte-VO:
Der Begriff „außergewöhnlicher Umstand“ iSd VO bezeichnet Vorkommnisse, bei denen zwei kumulative Bedingungen erfüllt sein müssen: Zum einen dürfen die Vorkommnisse ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens sein und zum anderen dürfen sie von ihm nicht tatsächlich beherrschbar sein. Zudem ist dieser Begriff eng auszulegen.
Ein Streik als eine der möglichen Erscheinungsformen von Kollektivverhandlungen ist als ein Vorkommnis anzusehen ist, das Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Arbeitgebers ist. Bei einem Streik, dessen Ziel sich darauf beschränkt, gegenüber Luftfahrtunternehmen eine Gehaltserhöhung für die Piloten, eine Änderung ihrer Arbeitszeiten sowie eine bessere Planbarkeit der Arbeitszeit durchzusetzen, handelt es sich um ein Vorkommnis, das Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit dieses Unternehmens ist, insb, wenn ein solcher Streik unter Beachtung der gesetzlichen Anforderungen organisiert wird.
Die Auslösung eines Streiks ist als für jeden Arbeitgeber vorhersehbare Tatsache anzusehen, weil es sich beim Streik um ein für die Arbeitnehmer durch die Charta der Grundrechte der EU (Art 28) verbürgtes Recht handelt, insb wenn ein solcher Streik angekündigt wurde. Weiters verfügt der Arbeitgeber grundsätzlich über die Mittel, sich darauf vorzubereiten und damit dessen Folgen ggf abzufangen. Insofern kann ein ausführendes Luftfahrtunternehmen nicht behaupten, es habe keinerlei Einfluss auf die Streikmaßnahmen.
Die Bezugnahme in ErwGr 14 der VO auf die außergewöhnlichen Umstände, die insb bei den Betrieb eines ausführenden Luftfahrtunternehmens beeinträchtigenden Streiks eintreten können, sind dahin zu verstehen, dass sie die außerhalb der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens liegenden Streiks betrifft, etwa Streiks der Fluglotsen oder des Flughafenpersonals. Dagegen handelt es sich bei einem von den eigenen Beschäftigten des betroffenen Luftfahrtunternehmens ausgelösten und befolgten Streik um ein „internes“ Ereignis dieses Unternehmens; dies schließt auch einen durch den Streikaufruf von Gewerkschaften ausgelösten Streik ein.
EuGH 23.3.2021, C-28/20 (Airhelp Ltd/ Scandinavian Airlines System SAS)