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Sammelklagen: Österreich ein Vorbild? Ein Vorbild für Österreich?

Der VKI geht mit dem Modell "Sammelklage" nach österreichischem Recht einen neuen Weg in der Durchsetzung von Rechtsansprüchen von Verbrauchern.

Sammelklagen in den USA

Spricht man heutzutage von "Sammelklagen", dann denken viele an die bekannten Beispiele aus den USA: Schadenersatzklagen gegen Autohersteller oder die Tabakindustrie, Restitutionsforderungen von Opfern des NS-Regimes und ähnliches. Sehr rasch hört man dann: So etwas gibt es bei uns ("Gott sei Dank" oder leider - je nach Standpunkt) nicht. Und tatsächlich, eine "Sammelklage" im US-amerikanischen Vorbild ist in Europa weitgehend unbekannt und würde auch nicht mit unserem Grundrechtsverständnis in Einklang zu bringen sein.

Die Grundidee der "class action" ist, dass ein Kläger stellvertretend für eine Gruppe betroffener Personen (Geschädigter) ohne vorherige Absprache mit den anderen gegen den Verantwortlichen ein Gerichtsverfahren anstrengt und das Urteil für und gegen alle Betroffenen wirkt, obwohl sich diese am Verfahren nicht beteiligen konnten. Die anderen Betroffenen können nur innerhalb einer bestimmten Frist durch ausdrückliche Erklärung sich dieser Wirkung entziehen ("opt-out"). Die Anwälte, die solche Klagen betreiben, arbeiten auf der Basis eines Erfolgshonorars und sind daher oft für Vergleiche ("lieber den Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach") sehr empfänglich. Oft - so lautet die Kritik - kommen den Anwälten hohe Summen zu, den eigentlich Geschädigten bleibt ein kaum nennenswerter Entschädigungsbetrag. Das Modell wird daher in Europa eher abgelehnt.

Ein berechtigtes Interesse...

Auf der anderen Seite besteht bei geschädigten Verbrauchern häufig ein berechtigtes Interesse an der Durchsetzung ihrer Ansprüche im Weg einer Sammelklage.

Man denke zum einen an Bagatellschäden (z.B. ungesetzliche Entgelte aufgrund gesetzwidriger Klauseln), wo der Einzelne aufgrund des geringen Betrages nie klagen wird, die Verbraucherverbände mit Verbandsklagen gegen unfaire Klauseln zwar die Rechtslage klären und eine weitere Verwendung der Klauseln verhindern können, der Unternehmer aber den finanziellen Vorteil aus seiner gesetzwidrigen Vorgangsweise nie herausgeben muss.

Man denke aber auch an Massenschäden - wie Erkrankungen vieler Gäste eines Ferienclubs (siehe unten) oder Opfer falscher Zinsabrechnungen der Banken (siehe unten) - wo sich ein Geschädigter, der über eine Rechtsschutzversicherung verfügt zwar zur Klage entschließen wird, viele andere aber das Prozesskostenrisiko scheuen müssen.

Der VKI kann dann zwar mit (oft jahrelangen) Musterprozessen die Rechtslage klären, doch bis der OGH gesprochen hat, sind die Ansprüche der anderen entweder verjährt oder zumindest vergessen.

Die Unternehmer spekulieren mit diesem Effekt und sind daher häufig nicht geneigt, außergerichtlich ordentliche Entschädigungen anzubieten. Was soll ihnen schon passieren?

VKI-"Sammelklage"

Der VKI hat daher - zusammen mit dem deutschen Prozessfinanzierungsunternehmen FORIS AG - ein Modell für eine "Sammelklage" nach österreichischem Recht erarbeitet und ist dabei in zwei Bereichen (siehe unten) diese Sammelklagen in der Praxis einzusetzen.

Die erste Idee einer Sammelklage dient der Prozessökonomie: Es sollen eine Vielzahl von Verfahren nicht bei verschiedenen Gerichten zersplittert abgehandelt werden, sondern ein Gericht (ein Richter / Senat) soll über alle gesammelten Fälle gleichzeitig Recht sprechen. Dabei können gemeinsame Tat- und Rechtsfragen für alle Fälle gemeinsam (und nur einmal) beantwortet werden. Man braucht etwa nur einen Sachverständigen und es besteht auch nicht die Gefahr, dass verschiedene Gerichte die Rechtsfragen verschieden beantworten. Es ist also das Ziel, dass alle Verfahren vor einen Richter kommen und dass für die gemeinsamen Fragen jedenfalls auch ein Rechtszug zum OGH möglich wird.

Die Möglichkeiten der ZPO für eine Mehrzahl von Geschädigten "gemeinsam" Prozess zu führen, sind nicht sehr weit entwickelt. Insbesondere ist es bei Verbraucherrechtsstreitigkeiten (deren einzelner Streitwert regelmäßig unter ATS 260.000.-, ja in vielen Fällen sogar unter ATS 52.000.- liegt) kaum möglich, ein Grundsatzurteil des OGH zu erlangen. Hier setzt die Idee der VKI-"Sammelklage" an.

Der VKI kann sich gemäß § 55 Abs 4 JN einen Geldanspruch abtreten lassen und im eigenen Namen einklagen. Die Konsequenz: Die betragsbezogenen Rechtsmittelbeschränkungen fallen weg, ein Rechtszug zum OGH wird möglich. Der VKI kann sich aber - und das ist die Weiterführung dieser Möglichkeit - statt eines Anspruches für einen Musterprozess auch eine Vielzahl von Ansprüchen zur gemeinsamen Klage abtreten lassen. Damit wird für alle Ansprüche - jedenfalls bei Leistungsklagen (nicht bei Feststellungs- oder Unterlassungsklagen, nicht bei Passivverfahren) - eine Klage, ein Verfahren und ein Rechtszug zum OGH eröffnet.

Bleibt das Prozesskostenrisiko. In Einzelfällen kann der VKI - mit Unterstützung des BMJ-Sektion Konsumentenschutz - das Prozesskostenrisiko
übernehmen und einen Musterprozess führen. Zur Abdeckung des Kostenrisikos für Millionenklagen stehen aber keine Mittel zur Verfügung. An dieser Stelle tritt die Zusammenarbeit mit der FORIS AG auf den Plan.

Die FORIS AG bietet Prozesskostenfinanzierung unter folgenden Bedingungen:

  • Mindeststreitwert ATS 700.000.-
  • überwiegende Erfolgsaussicht
  • 30 Prozent vom ersiegten (und eingebrachten) Kapital als Erfolgsquote
  • dafür Übernahme aller Kosten im Fall des Prozessverlustes.
  • dafür Übernahme aller Kosten im Fall des Prozessverlustes.
  • (www.foris-ag.de)

    Einzelne Verbraucher können wegen des Mindeststreitwertes die Dienste von FORIS kaum in Anspruch nehmen. Wenn aber dem VKI Ansprüche in Millionenhöhe abgetreten werden, dann ist der Mindeststreitwert kein Problem. Für Verbraucher bedeutet dies: Kein Kostenrisiko und die Chance sogar 70 Prozent ihrer Forderung erfolgreich durchzusetzen. Dazu die Genugtuung, dass der Unternehmer nicht "billig" davonkommt, sondern gesetzwidrige Vorgangsweisen wirksam verfolgt werden. Der VKI wird dieses Modell nun in der Praxis (siehe unten) zum Einsatz bringen.

    Österreich als Vorbild

    In Deutschland soll das Zivilverfahrensrecht novelliert werden und deutsche Verbraucherschützer wollen die Möglichkeit einer "Gruppenklage" im Gesetz verankert sehen. Der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände (AgV) liegt ein Gutachten von Univ.Prof.Dr. Astrid Stadler (Universität Konstanz) vor, die folgende Möglichkeit einer "Gruppenklage" aufzeigt:

    Eine Gruppenklage macht überall dort Sinn, wo eine Mehrheit von Ansprüchen besteht und gemeinsame Tat- und Rechtsfragen in einem Verfahrensabschnitt konzentriert abgehandelt werden sollten. Die Geschädigten wenden sich an das Gericht, dieses bewilligt die Gruppenklage und bestellt - ähnlich dem Masseverwalter im Konkurs-verfahren - einen Prozessführer, der in Abstimmung mit den Anspruchsberechtigten die Gruppenklage führt. Es erfolgt ein Aufruf an mögliche Geschädigte, sich dem Verfahren anzuschließen. Es gilt aber der Grundsatz: Nur wer sich anschließt soll Vor- und Nachteile mittragen; kurz die Entscheidung im Verfahren um gemeinsame Tat- und Rechtsfragen ist für etwa nachfolgende Einzelverfahren (um die Höhe des Anspruches) präjudiziell.

    Das heißt es gibt zwei Verfahrensabschnitte:

    • Gruppenklage - zur Klärung gemeinsamer Tat- und Rechtsfragen
    • allenfalls Einzelverfahren, um auf der Basis der Entscheidung in der Gruppenklage, Ansprüche der Höhe nach zu klären.

    (Beispiel: Ein Kosmetikum enthält gesundheitsschädliche Inhalte. Eine Vielzahl von Verbrauchern nehmen Schaden. Manche sind wochenlang krank, andere nach wenigen Tagen wieder beschwerdefrei. Die Klärung der Fragen, ob schädliche Inhaltsstoffe vorhanden waren, der Hersteller das Produkt in Verkehr gebracht hat und er aus der Produkthaftung haftet, kann für alle Geschädigten gemeinsam erfolgen. In der Regel wird der Hersteller - verliert er diese Vorfragen - zahlen. In Einzelfällen können aber Ersatzansprüche der Höhe nach dennoch umstritten sein. Da gibt es dann Einzelverfahren, in denen aber die im Rahmen der Gruppenklage geklärte generelle Verantwortung des Herstellers nicht mehr zur Debatte steht.)

    Soweit die weiterführenden Ideen in Deutschland. Doch die deutschen Verbraucherschützer wären fürs erste auch schon zufrieden, bekämen sie eine Regelung, wie in Österreich, also die Möglichkeit, dass ein klagslegitimierter Verband "Verbands-Muster-klagen" führen kann (Süddeutsche Zeitung 11.10.2000).

    Vorbild für Österreich?

    Der Zugang der Verbraucher zum Recht steht für die EU ganz oben auf der Agenda, wenn es um besseren Verbraucherschutz geht. Was nützen materiell fortschrittliche Regelungen, wenn diese in der Praxis nicht durchgesetzt werden? Daher steht auch für Österreich die Diskussion darüber an, wie der Zugang der Verbraucher zur Rechtsdurchsetzung gestärkt werden kann. In dieser Diskussion sollte auch für Österreich die Idee der Gruppenklage, wie sie in Deutschland diskutiert wird, eingebracht werden. Denn im Endeffekt gibt es viele Vorteile:

    • Die Konzentration gemeinsamer Tat- und Rechtsfragen in einer Klage, vor einem Gericht und mit einem Rechtszug zum OGH entlastet die Gerichtsbarkeit, die sonst alle diese Fragen in verschiedenen - zersplitterten - Verfahren mit erheblich mehr Aufwand klären müsste.
    • Geschädigte Verbraucher bekämen eine realistische Chance, ihre Schadenersatzansprüche auch gegen mächtige Unternehmen wirksam zu bündeln und geltend zu machen.
    • In vielen Fällen würde schon die Einleitung der Gruppenklage die Verhandlungsbereitschaft der beklagten Unternehmer deutlich erhöhen. Kommt es zu akzeptablen Vergleichen, wird die Justiz weiter entlastet.
  • In vielen Fällen würde schon die Einleitung der Gruppenklage die Verhandlungsbereitschaft der beklagten Unternehmer deutlich erhöhen. Kommt es zu akzeptablen Vergleichen, wird die Justiz weiter entlastet.
  • Zusammenfassung:

    Der VKI geht mit dem Modell "Sammelklage" nach österreichischem Recht einen neuen Weg in der Durchsetzung von Rechtsansprüchen von Verbrauchern. Dennoch wäre die weiterführende Möglichkeit einer Gruppenklage auch für Österreich - unter dem Titel "Zugang der Verbraucher zum Recht" - wünschenswert.

    Dr. Peter Kolba - Leiter der VKI-Rechtsabteilung

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