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Schadenersatz bei mangelnder Aufklärung über Pass- und Visumerfordernisse

Die Verordnung über Ausübungsvorschriften für das Reisebürogewerbe (IVO, BGBl II 1998/401) sieht bei Pauschalreisen Aufklärungspflichten des Reiseveranstalters und des Reisebüros über die Pass- und Visumvorschriften des Zielstaats vor (§§ 2 f), die den Zweck haben, dem Reisenden eigene Nachforschungen zu ersparen.

Pauschale Hinweise auf nicht zur Verfügung gestellte Unterlagen reichen zur Erfüllung dieser Pflichten ebenso wenig aus wie der Verweis auf die Möglichkeit, bei anderen Stellen wie dem Außenministerium oder der  Botschaft Auskünfte einzuholen. Die Verordnung ist ein Schutzgesetz iSd § 1311 ABGB. Die Aufklärungspflichten werden in der österreichischen Literatur generell als Nebenpflichten eingeordnet, deren Verletzung zu Schadenersatzansprüchen aus culpa in contrahendo führen und eine Irrtumsanfechtung ermöglichen kann.

Der Kunde buchte für sich und seine Familie bei einem Reisebüro eine 10-tägige Pauschalreise nach Marokko, die er aus einem Katalog der beklagten Reiseveranstalterin auswählte. Auf der Rechnung befindet sich folgender Passus: "Beachten Sie die Einreisebestimmungen Ihres jeweiligen Urlaubslandes. Diese finden Sie im Katalog Ihres gebuchten Veranstalters, auf der Homepage des Außenministeriums unter www.reiseinformation.at bzw bei der Botschaft des jeweiligen Landes." Dem Kunden wurde weder der Katalog der Beklagten ausgehändigt noch erhielt er im Reisebüro nähere Informationen zu den Pass- und Visumerfordernissen. Vor der Reise recherchierte er jedoch selbst auf der Webseite des Außenministeriums und fand dort für Marokko folgende Information: "Österreichische Staatsbürger können für touristische Zwecke bis zu 3 Monate visumfrei einreisen. Der Reisepass muss bei der Einreise für die geplante Aufenthaltsdauer gültig sein."

Beim Einchecken am Flughafen stellte sich heraus, dass der achtjährige Sohn des Kunden, der im Pass der mitreisenden Mutter eingetragen ist, für die Einreise nach Marokko einen eigenen Pass benötigt hätte. Die Familie konnte die Reise daher nicht antreten. Die Beklagte zahlte dem Kunden "aus Kulanz" 50 % des Reisepreises zurück.

Die Bundesarbeiterkammer klagte daher unter Abtretung des Anspruches den restlichen Reisepreis gegenüber dem Reiseveranstalter ein. Das Erstgericht wies den Anspruch im Wesentlichen mit der Begründung ab, bei einem mündigen Konsumenten könne vorausgesetzt werden, das für die Einreise in ein anderes Land ein Reisepass erforderlich sei. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung mit der Begründung, es liege zwar kein Alleinverschulden des Konsumenten vor, weil das Reisebüro als Vermittler seine Informationspflichten nicht erfüllt hätte, aber der Umstand, dass dem Konsumenten aufgrund der Kenntnis der Homepage des Außenministeriums bekannt sein musste, dass grundsätzlich jeder österreichische Staatsbürger verpflichtet sei, einen Reisepass aufzuweisen, begründe ein Mitverschulden des Konsumenten, was zu einer Schadensteilung von 1:1 führe.

Der OGH sah dies jedoch anders. Die Verordnung über Ausübungsvorschriften für das Reisebürogewerbe (IVO), BGBl II 1998/401, sei ein Schutzgesetz iSd § 1311 ABGB. § 2 Abs 1 Z 4 lit f der VO bestimme, das, wenn eine Pauschalreise in detaillierten Werbeunterlagen angeboten wird, diese deutlich lesbare, klare und genaue Angaben über Pass- und Visumerfordernisse für Angehörige jenes Staates zu enthalten haben, in dem die Reise angeboten wird. § 3 der VO verpflichte die Anbieter von Pauschalreisen, den Reisenden vor der Buchung, schriftlich oder in einer anderen geeigneten Form über die Pass- und Visumerfordernisse für Angehörige des Mitgliedstaates, in dem die Reise angeboten wird und über die ungefähren Fristen zur Erlangung dieser Dokumente zu informieren.

Zweck dieser Bestimmungen nach §§ 2, 3 IVO sei es gerade, dem Reisenden eigene weitere Nachforschungen zu ersparen.

Das vermittelnde Reisebüro habe aber die ihm obliegenden Informationspflichten nicht erfüllt. Werden nämlich dem Kunden keine Kataloge zur Verfügung gestellt, in denen sich nähere Informationen über Einreisebestimmungen befinden, so reicht das bloße Durchblättern von Katalogen anlässlich des Buchungsgespräches keineswegs aus, weil hierbei nach der Lebenserfahrung das Schwergewicht stets auf der Auswahl des konkreten Angebotes und nicht auf der Durchsicht von Detailbestimmungen liegt. Ebenso wenig entspricht es der Informationspflicht, wenn nur pauschal auf einen dem Kunden nicht zur Verfügung gestellten Katalog oder auf die Möglichkeit der Auskunftserteilung durch andere Stellen, wie etwa das Außenministerium oder ausländische Botschaften verwiesen wird.

Nach stRspr richte sich bei einem Mitverschulden die Verschuldensteilung nach dem Gewicht des Verschuldens, gegebenenfalls der Größe und Wahrscheinlichkeit der durch das Verschulden jeweils bewirkten Gefahr sowie der Bedeutung der verletzten Vorschriften. Im vorliegenden Fall wirke der Verstoß des Reisebüros gegen die gesetzliche Informationspflicht derart schwer, dass demgegenüber ein im Missverständnis der amtlichen Information des Außenministeriums liegendes Mitverschulden des Reisenden völlig in den Hintergrund träte.

Als unselbständige Nebenpflicht führe eine Verletzung von vorvertraglichen Aufklärungspflichten zu Schadenersatzansprüchen aus culpa in contrahendo. Der Vertrag könne auch wegen eines Geschäftsirrtums angefochten werden, weil für das Reisevertragsrecht konkret positivierte Aufklärungspflichten iSd § 871 Abs 2 ABGB bestünden.

Das Klagebegehren sei daher berechtigt. Als Schadenersatz sei neben dem Anspruch auf Rückzahlung des restlichen Pauschalreisepreises auch noch das Entgelt für die Reiseversicherung und das Reisebüro-Serviceentgelt zurück zu erstatten, auch wenn es dem Reiseveranstalter nicht zugeflossen sei. Folge des Verstoßes gegen die Belehrungspflichten sei nämlich, dass diese Leistungen für den Reisenden wertlos wurden.

OGH, 18.09.2009, 6 Ob 142/09i

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