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Stellt eine Umleitung zu einem nahegelegenen Flughafen eine Annullierung dar?

Grundsätzlich ist ein Flug, der zu einem anderen Flughafen als dem ursprünglich vorgesehenen Zielflughafen umgeleitet wird, als annulliert anzusehen. Der EuGH hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob dies auch für den Fall gilt, wenn eine Umleitung zu einem Flughafen erfolgt, der zwar in einem anderen Bundesland liegt, aber dieselbe Stadt bedient.

Der Ausgangsfall:

Ein Konsument buchte bei Austrian Airlines eine Flugreise von Klagenfurt über Wien nach Berlin. Die  Ankunft war für 22:20 am Flughafen Berlin-Tegel (Bundesland Berlin) geplant. Der Flug wurde allerdings umgeleitet und der Konsument landete tatsächlich um 23:18 am Flughafen Berlin-Schönefeld (Bundesland Brandenburg). Der Konsument erhob daher beim BG Schwechat Klage gegen Austrian Airlines und begehrte € 250 als Ausgleichszahlung nach Art 5 Abs 1 lit c iVm Art 7 Abs der Verordnung Nr. 261/2004 (Fluggastrechte-VO). Er stützte sein Begehren einerseits auf die verspätete Ankunft des Fluges (23:18 statt 22:20 Uhr) und andererseits darauf, dass Austrian Airlines keinen Weitertransport vom Flughafen Berlin Schönefeld zum Flughafen Berlin Tegel angeboten hat.

Die konkurrierenden Anspruchsgrundlagen:

Art 5 Abs 1 lit c iVm Art 7 Abs 1 Fluggastrechte-VO bestimmt, dass dem Fluggast bei Annullierung eines Fluges eine Ausgleichszahlung in der Höhe von € 250 vom ausführenden Luftfahrtunternehmen zusteht.

Art 8 Abs 3 der Fluggastrechte-VO: „Befinden sich an einem Ort, in einer Stadt oder Region mehrere Flughäfen und bietet ein ausführendes Luftfahrtunternehmen einem Fluggast einen Flug zu einem anderen als dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen an, so trägt das ausführende Luftfahrtunternehmen die Kosten für die Beförderung des Fluggastes von dem anderen Flughafen entweder zu dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen oder zu einem sonstigen nahe gelegenen, mit dem Fluggast vereinbarten Zielort.

Das BG Schwechat wies das Klagebegehren mit der Begründung ab,  dass es sich um keine Annullierung des Flugs handle. Es sei keine Annullierung anzunehmen, da der Anflug des Flughafens Berlin-Schönefeld statt Berlin-Tegel keine wesentliche Änderung der Flugroute darstelle. Der Flug sei daher lediglich als verspätet anzusehen. Bei einem verspäteten Flug stehe dem Konsumenten gemäß der Fluggastrechte-Verordnung nur ein Ausgleichsanspruch zu, wenn die Verspätung mehr als 3 Stunden betrage, was hier nicht der Fall sei.

Gegen dieses Urteil erhob der Konsument Berufung beim Landesgericht Korneuburg, welches sich wiederum an den EuGH hinsichtlich der Auslegung der Fluggastrechte-Verordnung wandte - einerseits mit der Frage, ob der Ausgangsfall als Annullierung, Flugverspätung oder als eigener Tatbestand zu werten sei, andererseits ob dieses Luftfahrtunternehmen wegen allfälliger Verletzung der ihm obliegenden Unterstützungs- und Betreuungspflichten schadenersatzpflichtig ist.

Der EuGH sprach hierzu aus:

Wenn der Flug umgeleitet wurde und der Fluggast auf einem Flughafen landet, der zwar nicht dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen entspricht, aber denselben Ort, dieselbe Stadt oder dieselbe Region bedient, hat der Fluggast keinen Ausgleichsanspruch wegen Annullierung. Der Ausgleichsanspruch wegen Verspätung nach dieser Verordnung steht allerdings zu, wenn eine Verspätung von mindestens drei Stunden vorliegt. Dabei ist für die Ermittlung des Ausmaßes der Ankunftsverspätung auf den Zeitpunkt abzustellen, an dem der Fluggast an dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughaften bzw. an einem sonstigen nahegelegenen, mit dem ausführenden Luftfahrtunternehmen vereinbarten Zielort ankommt.

Das ausführende Luftfahrtunternehmen muss dabei dem Fluggast im Fall der Umleitung seines Fluges und dessen Landung auf einem Flughafen, der zwar nicht dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen entspricht, aber denselben Ort, dieselbe Stadt oder dieselbe Region bedient, die Übernahme der Kosten für die Beförderung zu dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen oder gegebenenfalls zu einem sonstigen nahe gelegenen, mit ihm vereinbarten Zielort von sich aus anbieten.

Die Übernahme der Kosten für die Beförderung des Fluggastes vom einen zum anderen Flughafen ist unabhängig davon, dass der erste Flughafen am selben Ort, in derselben Stadt oder in derselben Region wie der zweite Flughafen liegt (Art 8 Abs 3 Verordnung Nr. 261/2004).

Wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen aber gegen seine Pflicht zur Übernahme der Kosten für die Beförderung verstößt, resultiert daraus kein Anspruch des Fluggastes auf eine pauschale Ausgleichszahlung nach Art 7 Abs 1 dieser Verordnung. Hingegen begründet dieser Verstoß einen Anspruch des Fluggastes auf Erstattung der von ihm aufgewendeten Beträge, die sich in Anbetracht der dem jeweiligen Fall eigenen Umstände als notwendig, angemessen und zumutbar erweisen, um das Versäumnis des Luftfahrtunternehmens auszugleichen.

EuGH 22.04.2021, C-826/19 (Austrian Airlines AG)

 

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