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Unfall beim Aussteigen aus Flugzeug

Der EuGH beschäftigte sich mit der Frage der Haftung einer Fluglinie für den Sturz einer Passagierin beim Aussteigen aus dem Flugzeug.

Ein weiblicher Fluggast stürzte beim Verlassen des Flugzeugs über eine mobile Treppe mit beidseitigen Handläufen. Zuvor kam ihr Ehegatte, der in jeder Hand einen Handgepäck-Trolley hielt, beinahe zu Fall. Sie hatte ihre Handtasche in der rechten Hand und ihrem Sohn auf dem linken Arm. Dieser Sturz verursachte ihr ua einen Bruch des linken Unterarms. Sie klagte auf Schadenersatz iHv 4.675 Euro.

Haftung des Flugunternehmens auch ohne Fehlverhalten

Nach Art 17 Abs 1 Montrealer Übereinkommen hat das Luftfahrtunternehmen den Schaden zu ersetzen, der dadurch entsteht, dass ein Reisender getötet oder körperlich verletzt wird, jedoch nur, wenn sich der Unfall, durch den der Tod oder die Körperverletzung verursacht wurde, an Bord des Luftfahrzeugs oder beim Ein- oder Aussteigen ereignet hat. Der Begriff „Unfall“ ist hier als ein unvorhergesehenes, unbeabsichtigtes, schädigendes Ereignis zu verstehen ist; der Begriff verlangt nicht, dass der Schaden auf das Eintreten eines luftfahrtspezifischen Risikos zurückgeht oder dass es einen Zusammenhang zwischen dem „Unfall“ und dem Betrieb oder der Bewegung des Luftfahrzeugs gibt.

Wenn ein Fluggast aus unbestimmtem Grund auf einer für den Ausstieg der Fluggäste eines Luftfahrzeugs bereitgestellten mobilen Treppe stürzt und verletzt wird, fällt dieser Sturz somit unter den Begriff „Unfall“ iSv Art 17 Abs 1 Montrealer Übereinkommen. Der Umstand, dass das betreffende Luftfahrtunternehmen hierbei nicht gegen seine Sorgfalts- und Verkehrssicherungspflichten verstoßen hat, vermag diese Subsumtion nicht in Frage zu stellen. Es reicht für die Auslösung der Haftung des Luftfahrtunternehmens aus, dass sich der Unfall, durch den der Tod oder die Körperverletzung eines Fluggasts verursacht wurde, an Bord des Luftfahrzeugs oder beim Ein- oder Aussteigen ereignet hat. Diese Haftung kann daher nicht von einem Fehlverhalten/einer Fahrlässigkeit des Luftfahrtunternehmens abhängen.

Haftungsbefreiung?

Nach Art 20 Satz 1 Montrealer Übereinkommen ist das Luftfahrtunternehmen, wenn es nachweist, dass die Person, die den Schadenersatzanspruch erhebt, den Schaden durch eine unrechtmäßige Handlung oder Unterlassung, sei es auch nur fahrlässig, verursacht oder dazu beigetragen hat, ganz oder teilweise von seiner Haftung gegenüber dieser Person insoweit befreit, als diese Handlung oder Unterlassung den Schaden verursacht oder dazu beigetragen hat.

Dies zu prüfen ist, Sache des nationalen Gerichts unter Berücksichtigung der anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften und vorbehaltlich der Wahrung der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität.

Dass sich der Fluggast nicht an einem der Handläufe der mobilen Treppe festgehalten hat, kann die Körperverletzungen dieses Fluggasts verursachen oder dazu beitragen. Allerdings muss der Fluggast, der mit einem minderjährigen Kind reist, auch für dessen Sicherheit sorgen, was ihn dazu veranlassen kann, sich nicht an einem solchen Handlauf festzuhalten. Zu berücksichtigen ist auch, die Passagierin mitangesehen hat, wie unmittelbar vor ihr ihr Ehegatte auf der fraglichen mobilen Treppe beinahe zu Fall gekommen wäre. Bei der Beurteilung, ob dies eine fahrlässige Handlung oder Unterlassung des Fluggastes begründen kann, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass der Fluggast behauptet, aufgrund des beobachteten beinahe erfolgten Sturzes besonders vorsichtig die Treppe herabgestiegen zu sein. Ferner kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Umstand, dass der verletzte Fluggast darauf verzichtet hat, sich unmittelbar nach dem Unfall einer Behandlung zu unterziehen, zur Verschlimmerung der von ihm erlittenen Körperverletzungen geführt hat. Hierbei ist aber auch zu berücksichtigen, welchen Schweregrad diese Verletzungen unmittelbar nach diesem Unfall zu haben schienen und welche Informationen der Fluggast vom medizinischen Personal vor Ort in Bezug auf das Aufschieben der medizinischen Behandlung oder auf die Möglichkeit, eine solche Behandlung in der Nähe in Anspruch zu nehmen, erhalten hat.

Zusammenfassung

Stürzt ein Fluggast aus unbestimmtem Grund auf einer für den Ausstieg der Fluggäste eines Luftfahrzeugs bereitgestellten mobilen Treppe und wird dabei verletzt, fällt dies unter den Begriff „Unfall“ iS von Art 17 Abs 1 Montrealer Übereinkommen, und zwar auch dann, wenn das betreffende Luftfahrtunternehmen hierbei nicht gegen seine Sorgfalts- und Verkehrssicherungspflichten verstoßen hat. In einem solchen Fall kann das Luftfahrtunternehmen nur insoweit von seiner Haftung befreit werden, als es in Anbetracht sämtlicher Umstände, gemäß den anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften und vorbehaltlich der Wahrung der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität nachweist, dass iS von Art 20 Montrealer Übereinkommen eine unrechtmäßige Handlung oder Unterlassung dieses Fluggasts, sei es auch nur fahrlässig, den diesem entstandenen Schaden verursacht oder dazu beigetragen hat.

EuGH 2.6.2022, C-589/20 (Austrian Airlines)

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