Zum Inhalt

Urteil: Abschleppenlassen eines fremden Pkw erlaubt?

Der OGH beurteilte das Abschleppen eines fremden Pkw auf einem Privatparkplatz im konkreten Fall als unerlaubte Selbsthilfe.

Die Beklagte stellte im November 2015 ihr Pkw auf einen fremden Privatparkplatz (Kunden-/Lieferantenparkplatz) ab, bei dem mit Verkehrszeichen stand "Halten und Parken verboten" samt Zusatz "24 Stunden" und ebenso, dass widerrechtlich abgestellte Fahrzeuge kostenpflichtig abgeschleppt werden. Dadurch konnte ein Bekannter der Mieterin, der zur Nutzung des Parkplatzes berechtigt war, diesen nicht nutzen, obwohl er ihn benötigte. Der Bekannte der Mieterin brachte einen Zettel auf dem Fahrzeug der Beklagten an, der den Hinweis enthielt, dass ein Parkverbot bestehe, sowie Telefonnummern der Mieterin und ihres Bekannten mit dem Ersuchen, diese anzurufen. Es meldete sich jedoch niemand. Zwei Tage später verständigte der Bekannte der Mieterin die Polizei, die ihn jedoch darauf hinwies, dass sie für einen Privatparkplatz nicht zuständig sei.  Er erkundigte sich beim Hausmeister und auch bei anderen Personen, ob ihnen Lenker oder Halter des Fahrzeugs bekannt seien. Niemand konnte ihm sagen, wem das Fahrzeug gehört. Die Mieterin des Parkplatzes beauftragte die Klägerin, das Fahrzeug abzuschleppen.

3 oder 4 Tage nach dem Abstellen des Pkw schleppte die Klägerin das Fahrzeug ab und stellte dieses auf ihrem Firmengelände ab, wo es sich nach wie vor befindet. Eine Abschleppung durch die Klägerin kostet grundsätzlich 300 EUR, zusätzlich wurden 18 EUR für die Ladungssicherung und 60 EUR für die außerhalb der Bürozeiten durchgeführte Abschleppung verrechnet. Die Standgebühren der Klägerin betragen 24 EUR täglich.

Die Mieterin des Parkplatzes trat ihre Ansprüche gegen den Lenker des abgeschleppten Fahrzeugs zahlungshalber an die Klägerin ab. Im Jänner 2016 forderte die Klägerin die Beklagte auf (die Adresse bekam sie über die Zulassungsevidenz) zur Zahlung und zur Abholung des Pkw auf.  Die Schreiben kamen mit dem Vermerk "verzogen" an die Klägerin retour; letztlich stelle sich heraus, dass die Beklagte "untergetaucht" war.

Im Verfahren war die Beklagte durch einen Zustellkurator vertreten.

Die Klage wurde abgewiesen.

Gemäß § 19 Satz 1 ABGB muss zum Schutz und zur Durchsetzung von Rechten grundsätzlich behördliche Hilfe in Anspruch genommen werden. Selbsthilfe im weiteren Sinn des § 19 Satz 2 ABGB (das ist Selbsthilfe im engeren Sinn, Notwehr, Nothilfe und Notstand) ist demgegenüber nur subsidiär und nur in engen Grenzen zulässig. Selbsthilfe im engeren Sinn ist gesetzlich erlaubte Eigenmacht zur Durchsetzung oder (vorläufigen) Sicherung eines eigenen Rechts. Sie ist idR unzulässig; der Berechtigte hat sich mit seinem Anliegen grundsätzlich an die vom Gesetz bestimmten Behörden zu wenden. Nach § 344 Satz 1 ABGB, der ausdrücklich auf § 19 ABGB verweist, gehört zu den Rechten des Besitzes "auch das Recht, sich in seinem Besitz zu schützen und in dem Fall, dass richterliche Hilfe zu spät kommen würde, Gewalt mit angemessener Gewalt abzutreiben". Der Mieter eines Privatparkplatzes genießt als Rechtsbesitzer Besitzschutz gemäß § 344 ABGB. § 344 ABGB stellt neben § 19 ABGB, wo die Zulässigkeit der Selbsthilfe in gewissen Grenzen vorausgesetzt wird, die wesentliche Rechtsgrundlage des Selbsthilferechts überhaupt dar.

Nur dann ist der Akt der Selbsthilfe rechtmäßig, wenn die Hilfe der Behörden zu spät käme, also der vorgesehene Rechtsweg zur Durchsetzung nicht geeignet ist. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Behörde nicht erreichbar oder nicht funktionsfähig ist, ferner, wenn sie sich weigert, einzuschreiten. Auch wenn die behördliche Hilfe zu spät käme, ist nicht jeder Akt der Selbsthilfe erlaubt. Selbsthilfe ist innerhalb der ihr gebotenen (notwendigen) Grenzen auszuüben. § 344 ABGB erlaubt nur die Anwendung "angemessener Gewalt". Es muss daher eine Interessenabwägung vorgenommen werden, bei der insbesondere der durch das Unterbleiben der Selbsthilfe zu erwartende Nachteil und die durch die Selbsthilfe geschehene Güterbeeinträchtigung abzuwägen sind.

Eine Selbsthilfemaßnahme ist daher zusammengefasst nicht gerechtfertigt, wenn der zu sichernde Anspruch in Wahrheit nicht bestand, die behördliche Hilfe durchaus rechtzeitig gewesen wäre oder der Eingriff im konkreten Fall bei der gebotenen Abwägung der wechselseitigen Interessen übermäßig war.

§ 3 Abs 1 Satz 2 StGB (Notwehr) lautet: "Die Handlung ist jedoch nicht gerechtfertigt, wenn es offensichtlich ist, dass dem Angegriffenen bloß ein geringer Nachteil droht und die Verteidigung, insbesondere wegen der Schwere der zur Abwehr nötigen Beeinträchtigung des Angreifers, unangemessen ist." Bezüglich des Abschleppens von Kraftfahrzeugen, die auf Privatgrund rechtswidrig parken, wird in Lehre und Rechtsprechung der Instanzgerichte vertreten, dass das eigenmächtige Abschleppen nur in gleicher Abwägung wie nach § 3 Abs 1 Satz 2 StGB zulässig sein soll. Im Regelfall stellt das private Abschleppen von Fahrzeugen daher keine erlaubte Selbsthilfe dar.

Allgemein muss für die Selbsthilfe das gelindeste zielführende Mittel der Rechtsdurchsetzung gewählt werden, damit noch von einer innerhalb der Angemessenheitsgrenze der §§ 344, 19 ABGB liegenden Selbsthilfehandlung ausgegangen werden kann. Stets ist zu beachten, dass vor dem Abschleppen zunächst zumutbare Erkundigungen nach der Person des Lenkers anzustellen sind, wobei diese Pflicht nicht überspannt werden darf. Demjenigen, der rechtswidrig das Fahrzeug abstellte, muss dadurch die Möglichkeit geboten werden, das Fahrzeug selbst zu entfernen.

Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, dass die durch die Mieterin veranlasste Abschleppung des Fahrzeugs der Beklagten unerlaubte Selbsthilfe war, weil diese Maßnahme im konkreten Fall nicht angemessen iSd § 344 Satz 1 ABGB war.

Dazu ist wesentlich, dass sich der Umstand, dass die Beklagte "untergetaucht" ist, erst im Zug der nach der Abschleppung durchgeführten Nachforschungen herausstellte. Die vor dem Abschleppen angestellten Erkundigungen stellen keine ausreichenden zumutbaren Erkundigungen dar: Gemäß § 47 Abs 2a KFG 1967 (auch in der aF) hat die Behörde Privatpersonen auf Anfrage, in der das Kennzeichen, die Motornummer oder die Fahrgestellnummer angegeben und ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird, nach Maßgabe der technischen und organisatorischen Auswertungsmöglichkeiten Namen und Anschrift des Zulassungsbesitzers aus der in § 47 KFG 1967 geregelten Zulassungsevidenz gegen eine geringe Gebühr (derzeit: 14,30 EUR; Stand: 5.7.2017) bekannt zu geben. Diese Auskunft hätte die Mieterin des Parkplatzes, deren rechtliches Interesse gemäß § 47 Abs 2a KFG 1967 in der Beseitigung der Besitzstörung bestand, im konkreten Fall daher bereits vor Veranlassung der Abschleppung ohne unzumutbaren Aufwand erhalten können, weil ihr das Kennzeichen des Fahrzeugs bekannt war.

Die Auskunft aus der Zulassungsevidenz wäre im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung erforderlich gewesen, um dem Lenker (Zulassungsbesitzer) des Fahrzeugs, von dessen "Verschwinden" die Mieterin des Parkplatzes zum Zeitpunkt der von ihr veranlassten Abschleppung nicht ausgehen durfte, die Möglichkeit zu geben, das Fahrzeug selbst zu entfernen.

Darüber hinaus ist zu beachten, dass auch durch die Aufrechterhaltung eines durch eine Selbsthilfe geschaffenen Zustands die Selbsthilfe unrechtmäßig werden kann, sodass zur Verhinderung dieses Rechtswidrigwerdens gerichtliche (bzw behördliche) Schritte einzuleiten sind. Veranlasst ein Mieter eines Parkplatzes ein Abschleppunternehmen, ein dort unberechtigt geparktes Fahrzeug abzuschleppen und (gegen Entgelt) auf einem Parkplatz des Abschleppunternehmens abzustellen, so ist er vor diesem Hintergrund selbst bei Annahme berechtigter Selbsthilfe im engeren Sinn gehalten, unverzüglich die erforderlichen gerichtlichen Schritte einzuleiten. Auch dazu ist die Einholung einer Auskunft aus der Zulassungsevidenz zweckmäßig und zumutbar, weil durch sie Name und Anschrift des Zulassungsbesitzers in Erfahrung gebracht werden kann.

Schon aus diesen Gründen stellt die Handlungsweise der Mieterin im vorliegenden Fall keine angemessene und damit rechtmäßige Maßnahme der Selbsthilfe iSd §§ 19, 344 ABGB dar. Für die geltend gemachten Schadenersatzansprüche fehlt es daher an einer Grundlage. Auf die Frage, ob in ihrem Fall "richterliche Hilfe zu spät" iSd § 344 ABGB gekommen wäre, kommt es im konkreten Fall daher nicht an.

Die von der Klägerin weiters geltend gemachte Geschäftsführung ohne Auftrag setzt begrifflich die Absicht voraus, ausschließlich ein fremdes Geschäft zu führen. Dem ist entgegengehalten, dass die Mieterin im vorliegenden Fall nur eigene Interessen - das Entfernen des Fahrzeugs der Beklagten von ihrem gemieteten Parkplatz - verfolgte. Die Klägerin legt nicht dar, welche (von den eigenen deutlich abgrenzbaren) fremden Interessen die Mieterin des Parkplatzes verfolgt hätte. Ebenso wenig bestand nach den Feststellungen eine Absicht der Mieterin des Parkplatzes, Schaden von der Beklagten abzuwenden, sodass auch der in der Revision aufgestellten Behauptung eines "Notfalls" iSd § 1036 ABGB keine Berechtigung zukommt.

OGH 20.12.2017, 10 Ob 34/17y


Anmerkung:
Die Gebühr für die Auskunft über den Zulassungsbesitzer beträgt derzeit insgesamt EUR 15,30 (davon EUR 14,30 für das Ansuchen selbst und EUR 1,00 Bundesverwaltungsabgabe).


Das Urteil im Volltext.

Lesen Sie mehr:

Diesen Beitrag teilen

Facebook Twitter Drucken E-Mail

Das könnte auch interessant sein:

Unzulässige Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Belvilla AG

Unzulässige Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Belvilla AG

Der VKI hat – im Auftrag des Sozialministeriums – die Bellvilla AG (Belvilla), ein Schweizer Unternehmen im Bereich der Ferienunterkunftvermietung, wegen 25 Klauseln in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen geklagt. Da Belvilla zu der für den 19.3.2024 anberaumten Verhandlung nicht erschienen ist, erging über Antrag des VKI ein (nicht rechtskräftiges) Versäumungsurteil.

Gesetzwidrige Klauseln eines Pauschalreiseveranstalters

Die Bundesarbeiterkammer klagte ein Reiseveranstaltungsunternehmen; dieses veranstaltet insbesondere Maturareisen in Form von Pauschalreisen. Im Verbandsverfahren wurden alle 11 eingeklagten Klauseln für unzulässig erklärt.

Unzulässige Klauseln in Entschädigungsbedingungen der WESTbahn

Der VKI hat Westbahn wegen drei Klauseln in ihren Entschädigungsbedingungen abgemahnt, ua. eine Klausel, die einen Höchstbetrag von EUR 80 für das Hotel im Fall einer Übernachtung wegen Ausfall, Verspätung oder Versäumnis des letzten Anschlusses am selben Tag vorsieht. Die Westbahn hat zu allen Klauseln eine Unterlassungserklärung abgegeben.

Rückerstattungsklauseln bei SWISS sind gesetzwidrig

Rückerstattungsklauseln bei SWISS sind gesetzwidrig

In der EU haben Fluggäste eine Vielzahl an Schutzrechten. Bei gestrichenen Flügen kommt es dennoch öfter zu Problemen. Rückzahlungen kommen mitunter nicht bei den Verbraucher:innen an. Bei einigen Fluglinien regeln eigene Klauseln, wie eine Rückerstattung erfolgen soll – so auch bei der Swiss International Air Lines AG (SWISS). Drei dieser Rückerstattungsklauseln wurden vom Verein für Konsumenteninformation (VKI) im Auftrag des Sozialministeriums beanstandet. Das Oberlandesgericht (OLG) Wien hat die Ansicht des VKI jetzt bestätigt. Das Urteil ist rechtskräftig.

Weitere Klauseln von Laudamotion unzulässig

Der VKI hatte die Laudamotion GmbH wegen insgesamt 24 Klauseln aus deren Allgemeinen Beförderungsbedingungen geklagt. Bereits in der 2.Instanz wurden vom OLG Wien 19 Klauseln rechtskräftig für unzulässig befunden. Nun erklärte der OGH 4 weitere Klauseln für gesetzwidrig.

OGH: EasyJet verweigerte zu Unrecht die Beförderung

Die Fluggesellschaft EasyJet UK Limited („EasyJet“) verweigerte einem irakischen Staatsbürger zu Unrecht – wie der Oberste Gerichtshof (OGH) nunmehr rechtskräftig entschied – die Beförderung von Wien nach London. Obwohl seine Ehefrau den Flug in Anspruch nehmen hätte können, stellte die Beförderungsverweigerung ihres Ehemannes auch einer Beförderungsverweigerung ihr gegenüber dar.

unterstützt durch das

Sozialministerium
Zum Seitenanfang