Im rumänischen Ausgangsfall wurde ein Ehepaar aufgrund der durch einen aus organisatorischen Gründen bedingten Wechsel des Fluggeräts geringeren Platzkapazitäten auf einen anderen Flug umgebucht, der erst fünf Tage nach dem gebuchten Flug ging. In der Folge forderten sie zusätzlich zu der geleisteten Ausgleichszahlung in der Höhe von 400 EUR pro Person eine Entschädigung für den materiellen Schaden, der sich aus einem Gehaltsabzug für die Eheleute ergab und eine Entschädigung für immaterielle Schäden.
Das Luftfahrtunternehmen hielt dem im Ausgangsverfahren entgegen, dass die beiden Passagiere keinen über die Ausgleichszahlung hinausgehenden Anspruch auf Schadenersatz hätten, weil sie nicht ausdrücklich verlangt hätten, mit einem anderen Flug früher befördert zu werden, sondern den fünf Tage späteren Flug akzeptiert hätten. Das rumänische Gericht legte dem EuGH vor diesem Hintergrund verschiedene Fragen zum Verhältnis von den von der Fluggastrechte-VO vorgesehenen Ausgleichszahlungen zu weiteren schadenersatzrechtlichen Ansprüche vor, sowie zum Umfang der Informationspflichten der Airlines im Rahmen der Unterstützungsleistungen bei Nichtbeförderung.
Der EuGH erklärte hierzu, dass die von der Fluggastrechte-VO vorgesehenen Ausgleichszahlungen dazu dienten, standardisiert und unverzüglich, also ohne die Mühe einer gerichtlichen Geltendmachung, jenen Schaden wiedergutzumachen, der durch die Unannehmlichkeiten bestehe, die durch die Nichtbeförderung (bzw durch Annullierung oder Verspätung des Fluges) entstehen.
Die Ausgleichsleistung diene daher dazu, jenen Schaden auszugleichen, der für alle betroffenen Fluggäste praktisch identisch sei. Die Ausgleichszahlung diene daher nicht dem Ausgleich von Schäden wie einem Verdienstentgang. Der Verdienstentgang stelle nämlich einen individuellen Schaden dar, zu dessen Wiedergutmachung zwangsläufig eine Prüfung im Einzelfall notwendig sei. Er falle daher nicht unter die von der Fluggastrechte-VO in Art 7 Abs 1 lit b vorgesehene pauschalierte Ausgleichsleistung. Der Schadenersatz für Verdienstentgang könne daher Gegenstand eines weitergehenden Schadenersatzanspruchs nach nationalem Recht oder Völkerrecht im Sinne des Art 12 Abs 1 Fluggastrechte-VO sein.
Das Bestehen eines solchen Anspruchs und sein Umfang müssten vom nationalen Gericht anhand der einschlägigen Rechtsgrundlagen beurteilt werden. Auch die Frage, ob die Ausgleichszahlung nach Art 7 Abs 1 lit b Fluggastrechte-VO auf einen solchen weitergehenden Schadenersatzanspruch nach nationalem Recht oder Völkerrecht angerechnet werden müsse, sei vom nationalen Gericht zu entscheiden. Die VO schließe eine solche Anrechnung nicht aus, schreibe sie aber auch nicht vor.
Daneben erklärte der Gerichtshof, dass der Fluggast nicht dazu verpflichtet sei, aktiv an der Suche nach Information über alternative Beförderungsmöglichkeiten mitzuwirken. Die Information der Fluggäste über die für sie bestehenden Möglichkeiten im Fall einer Nichtbeförderung (bzw Annullierung oder Verspätung) zählten zu den Unterstützungsleistungen, zu denen das Luftfahrtunternehmen bei Nichtbeförderung, Annullierung oder Verspätung verpflichtet sei. Daher müsse das Luftfahrtunternehmen die Passagiere über andere verfügbare Beförderungsmöglichkeiten zum frühestmöglichen Zeitpunkt oder zu einem späteren Zeitpunkt (auf Wunsch des Passagiers und bei Verfügbarkeit) bzw über die Möglichkeit der Erstattung der Flugscheinkosten oder gegebenenfalls die Möglichkeit eines Rückflugs zum ersten Abflugort zum frühestmöglichen Zeitpunkt informieren, ohne dass der Fluggast aktiv an der Suche nach Informationen mitwirken müsse. Die Beweislast dafür, dass in einem konkreten Fall der Flug zum frühestmöglichen Zeitpunkt stattgefunden hat, trage das Luftfahrtunternehmen.
EuGH 29.07.2019, C-354/18 (Rusu/SC Blue Air)
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