Erst kürzlich entschied der deutsche Bundesgerichtshof (BGH), dass ein gezieltes individuelles Ansprechen von Passanten im öffentlichen Verkehrsraum zu Werbezwecken grundsätzlich einen Wettbewerbsverstoß darstellt, insbesondere dann, wenn der Werbende als solcher nicht erkennbar ist.
Im konkreten Fall ging es um einen Anbieter von Pre-Selection-Telefondiensten. Dessen Mitarbeiter sollten durch das Ansprechen von Passanten auf der Straße und in Einkaufszentren neue Kunden rekrutieren.
Ein Mitbewerber erblickte darin eine nach § 1 dUWG sittenwidrige Belästigung und klagte auf Unterlassung. Die Beklagte verwies u.a. auf das den Kunden zustehende Rücktrittsrecht (in Ö - siehe § 3 KSchG), konnte den BGH damit jedoch nicht überzeugen:
Es entspreche der bislang herrschenden Meinung in dRsp und Judikatur, dass ein gezieltes individuelles Ansprechen von Personen an öffentlichen Orten grundsätzlich als wettbewerbswidrig zu erachten sei.
Im Gegensatz dazu verneinte der BGH jedoch hier, dass ein persönliches Ansprechen die Passanten in eine subjektive Zwangslage versetzen würde, der sie nur durch Eingehen auf das Angebot zu entkommen glaubten. Die beteiligten Verkehrskreise seien heute nämlich stärker als früher auf die Wahrung eigener Interessen und weniger auf die Einhaltung bestimmter Umgangsformen bedacht. Daher bestehe für den mündigen Verbraucher keine Gefahr, dass er sich durch das Angesprochenwerden auf der Straße zu einem unerwünschten Vertragsabschluß hinreißen lasse.
Unlauter sei allerdings der belästigende Eingriff in die Individualsphäre des Umworbenen und in dessen Recht, auch im öffentlichen Raum möglichst ungestört zu bleiben.
Der BGH erblickte in der einzelnen Maßnahme an sich keinen gewichtigen Eingriff, sah aber die Gefahr eines gewissen "Nachahmungsdrucks" für die Mitbewerber im Falle ihrer Zulassung. Würde eine Vielzahl von Mitbewerbern die gleiche Methode anwenden, käme es zu einer unerträglichen Belästigung der umworbenen Verbraucher.
Insbesondere läge ein wettbewerbswidriges Verhalten dann vor, wenn sich der Werbende -ohne als solcher erkennbar zu sein, einem Passanten nähert, und damit den Umstand ausnütze, dass es dem Gebot der Höflichkeit unter zivilisierten Menschen entspricht, einer fremden Person, die sich eventuell nach dem Weg erkundigen will, nicht ablehnend gegenüberzutreten.
Das Rücktrittsrecht stehe der Wettbewerbswidrigkeit nicht im Weg, habe es doch einen anderen Wertungsansatz als das UWG und beseitige es lediglich die zivilrechtlichen Folgen der möglichen Überrumpelung, nicht aber die wettbewerbsrechtliche Unlauterkeit wegen Belästigung.
Es seien die Grundrechte sowohl der Werbenden (Berufsausübungsfreiheit) als auch des Umworbenen (Individualsphäre) gegeneinander abzuwägen, wobei die Interessen der letzteren an einer ungestörten Privatsphäre die wirtschaftlichen Belange der Werbenden überwogen. Daher bestünden auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen ein Verbot derartiger Werbemethoden.