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Urteil: EuGH zum Rücktrittsrecht bei Messekauf

Verbraucher haben bei Käufen an Messeständen unter Umständen ein Rücktrittsrecht. Dabei kommt es insbesondere auf das Erscheinungsbild des Messestandes an.

Verbraucher haben bei sog. Auswärtsgeschäften, also bei außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers geschlossenen Verträgen, ein 14tägiges Rücktrittsrecht. Wird der Verbraucher nicht ordentlich über das Rücktrittsrecht belehrt, so verlängert sich die Rücktrittsrecht um zwölf Monate. Dies gilt aufgrund der Verbraucherrechte-RL (VR-RL) in der ganzen EU. In Österreich ist dies im Fern- und Auswärtsgeschäfte-Gesetz (FAGG) geregelt. "Geschäftsräume" sind unbewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit dauerhaft ausübt, oder bewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit für gewöhnlich ausübt (§ 3 Z 3 FAGG bzw Art 2 Z 9 VR-RL)

Fraglich ist, ob Messestände als Geschäftsräume gelten oder nicht und ob damit das Rücktrittsrecht auch bei Verträgen, die bei einem Messestand abgeschlossen wurden, zusteht.

Nun liegt eine EuGH-Entscheidung zu einem deutschen Anlassfall vor:

Unimatic verkauft auf der jährlich in Berlin stattfindenden Messe "Grüne Woche" Produkte. Dieser Unternehmer setzt seine Produkte ausschließlich auf Messen ab. Ein Kunde bestellte am Stand von Unimatic auf der genannten Messe einen Dampfstaubsauger zum Preis von 1 600 Euro. Unimatic belehrte diesen Kunden nicht darüber, dass ein Rücktrittsrecht bestehe.

Der EuGH führt dazu aus:

Der Grund für das Rücktrittsrecht bei Auswärtsgeschäften ist, dass der Verbraucher außerhalb von Geschäftsräumen möglicherweise psychisch unter Druck oder einem Überraschungsmoment ausgesetzt ist, wobei es keine Rolle spielt, ob der Verbraucher den Besuch des Unternehmers herbeigeführt hat oder nicht (s Erw 21 der VR-RL). Insoweit wollte der Unionsgesetzgeber auch Situationen einschließen, in denen der Verbraucher außerhalb von Geschäftsräumen persönlich und individuell angesprochen wird, der Vertrag aber unmittelbar danach in den Geschäftsräumen des Unternehmers oder über Fernkommunikationsmittel geschlossen wird.

Bei Tätigkeiten eines Unternehmers, die an einem auf einer Messe für einige Tage im Kalenderjahr eingerichteten Stand wie im gegenständlichen Verfahren ausgeübt werden, kann nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie "dauerhaft" ausgeübt werden.

Der Ausdruck "für gewöhnlich" iSv Art 2 Z 9 lit b VR-RL ist als Verweis auf die Üblichkeit der Ausübung der in Rede stehenden Tätigkeit in der betreffenden Räumlichkeit zu verstehen.

Aus ErwG 22 der VR-RL geht auch hervor, dass Verkaufsstätten, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit saisonal ausübt, beispielsweise während der Fremdenverkehrssaison an einem Skiort oder Seebadeort, als Geschäftsräume angesehen werden sollen, wenn der Unternehmer seine Tätigkeit in diesen Geschäftsräumen für gewöhnlich ausübt. Dagegen sollen der Öffentlichkeit zugängliche Orte wie Straßen, Einkaufszentren, Strände, Sportanlagen und öffentliche Verkehrsmittel, die der Unternehmer ausnahmsweise für seine Geschäftstätigkeiten nutzt, sowie Privatwohnungen oder Arbeitsplätze nicht als Geschäftsräume gelten.

Für die Frage, ob ein Messestand in einem bestimmten Fall unter den Begriff "Geschäftsräume" iSv Art 2 Z 9 lit b VR-RL zu subsumieren ist, ist das konkrete Erscheinungsbild dieses Standes aus Sicht der Öffentlichkeit zu berücksichtigen und genauer, ob er sich in den Augen eines Durchschnittsverbrauchers als ein Ort darstellt, an dem der Unternehmer, der ihn innehat, seine Tätigkeiten, einschließlich saisonaler, für gewöhnlich ausübt, so dass ein solcher Verbraucher vernünftigerweise damit rechnen kann, dass er, wenn er sich dorthin begibt, zu kommerziellen Zwecken angesprochen wird. Relevant ist hierbei die Wahrnehmung durch den Durchschnittsverbraucher, dh einen normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Verbraucher.

Es ist Sache des nationalen Gerichts, das Erscheinungsbild, das der betreffende Stand dem Durchschnittsverbraucher bietet, unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände rund um die Tätigkeiten des Unternehmers und insbesondere der vor Ort auf der Messe selbst verbreiteten Informationen zu beurteilen. Die Dauer der jeweiligen Messe ist insoweit für sich genommen nicht ausschlaggebend, da der Unionsgesetzgeber (s ErwG 22 der VR-RL), darauf abgestellt hat, dass die Räumlichkeiten, an denen der Unternehmer seine Tätigkeit saisonal ausübt, "Geschäftsräume" iSv Art 2 Z 9 der VR-RL darstellen können.

EuGH 7.8.2018, C-485/17 (Verbraucherzentrale Berlin/Unimatic)

Das Urteil im Volltext.

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