Zum Inhalt

Urteil: Haftung einer Supermarktbetreiberin für Sturz auf Einkaufszentrum-Parkplatz

Der Kläger parkte auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums, in dem ua die Beklagte einen Supermarkt betreibt. Nachdem er im Supermarkt der Beklagten eingekauft hatte, und die Einkäufe im Auto verstaut hatte, ging er zu einem im selben Einkaufszentrum befindlichen Drogeriemarkt. Am Weg stürzte er auf einer eisigen Stelle auf dem Parkplatz und erlitt Verletzungen.

Die Bestandgeberin der beklagten Supermarktbetreiberin hat sich Letzterer gegenüber dazu verpflichtet, für das ordnungsgemäße Funktionieren der allgemeinen Teile des Geländes (zB Schneeräumung) zu sorgen und die Allgemeinflächen (das Parkplatzareal) zur Verfügung zu stellen, um den Kunden den Zugang zu den verschiedenen Geschäften zu ermöglichen. Hierfür schloss die Bestandgeberin einen Vertrag mit einem Schneeräumdienst ab.

Der OGH gab der Klage des Kunden gegen die Supermarktbetreiberin statt:
Nach st Rsp treffen einen Geschäftsinhaber bei Anbahnung eines geschäftlichen Kontakts gegenüber seinen potenziellen Kunden vorvertragliche und - selbst wenn im Zeitpunkt der schädigenden Handlung oder Unterlassung die Hauptleistungspflichten aus dem Vertrag bereits vollständig erloschen sind - nachvertragliche Schutz- und Sorgfaltspflichten. Nach diesen Grundsätzen war es Aufgabe der Beklagten, ihre Kunden vor der ihnen beim Betreten oder Verlassen ihres Geschäfts im Gehsteigbereich drohenden Gefahr, soweit bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt erkennbar, zu schützen.

Für diese Pflicht des Geschäftsinhabers zur Sicherung des Eingangsbereichs nach Vertragsgrundsätzen kommt es nicht auf die Eigentumsverhältnisse am Gehsteig vor dem Geschäftslokal oder auf die rechtliche Verfügungsmöglichkeit des Geschäftsinhabers auf den zu sichernden Bereich an.

Die Haftung der Beklagten ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Abstellplätze nicht einzelnen Geschäften zugeordnet sind, sondern mehrere Geschäftsbetreiber gemeinsam den gesamten Kundenparkplatz ihren Kunden als Zufahrts- und Parkplatzfläche zur Befriedigung des Parkplatzbedarfs zur Verfügung stellen.

Die Bestandgeberin der Beklagten ist in Bezug auf die Räumung und Streuung des Parkplatzes, die die Beklagte ihren (potentiellen) Kunden zur Verfügung stellt, deren Erfüllungsgehilfe iSd § 1313a ABGB. Das mit der Schneeräumung betraute Unternehmen ist wiederum bezüglich der Räumung und Streuung des Parkplatzes, die die Beklagte ihren Kunden schuldet, deren Erfüllungsgehilfin iSd § 1313a ABGB (sog "Erfüllungsgehilfenkette").

Die vor- und nachvertraglichen Schutzpflichten dürfen allerdings nicht überspannt werden. Soll die vom Gesetzgeber getroffene unterschiedliche Ausgestaltung von Deliktsrecht und Vertragsrecht nicht aufgehoben oder verwischt werden, müssen Schutz- und Sorgfaltspflichten aufgrund eines nachvertraglichen Schuldverhältnisses durch einen inneren Zusammenhang mit dem Vertragsverhältnis gerechtfertigt sein. Bei der Prüfung, wann ein nachvertraglicher Kontakt in einen deliktischen Zufallskontakt übergeht, kommt es auf die zeitliche, örtliche und funktionale Nähe der schädigenden Handlung zu dem Vertragsverhältnis, ausgelegt nach der Übung des redlichen Verkehrs, an.

Ein räumlicher Zusammenhang liegt vor. Der Geschäftsinhaber hat für die Sicherheit des Geschäftslokals zu sorgen und darüber hinaus den sicheren Zugang zu diesem zu gewährleisten, etwa indem er den Eingang und den unmittelbar davor befindlichen Gehsteigbereich von Schnee und Eis säubert und bestreut. Stellt die Beklagte (wie im vorliegenden Fall) ihren Kunden den gesamten Kundenparkplatz als Zufahrts- und Parkfläche zur Befriedigung ihrer Kaufabsichten zur Verfügung, erstrecken sich ihre vor- und nachvertraglichen Schutzpflichten auch örtlich auf den gesamten Kundenparkplatz, hat sie doch auch im Rahmen des Bestandvertrags Einwirkungsmöglichkeit auf diesen Gefahrenbereich.

Der Sturz ereignete sich nur wenige Minuten nach dem Erlöschen der Hauptleistungspflichten, und der Kläger hatte den örtlichen Einfluss- und Verantwortungsbereich der Beklagten noch nicht verlassen (zeitlicher Zusammenhang). Nachvertragliche Schutz- und Sorgfaltspflichten sind solange anzunehmen, solange sich der Vertragspartner oder seine Güter in der Einflusssphäre des anderen Vertragspartners befinden.

Mit dem Verladen der Einkäufe im Auto war zwar der wesentliche Teil der Vertragsabwicklung beendet. Allerdings sind ein breites Parkplatzangebot und ein attraktiver Branchenmix wesentliche Faktoren für die Anziehungskraft von Einkaufszentren. Diese Faktoren sind maßgebliche Elemente der Kundenbeziehung zwischen den Streitteilen. Der Besuch mehrerer Geschäfte ist ein typisches Kundenverhalten im Zusammenhang mit dem Besuch eines Einkaufszentrums. Dass bereits getätigte Einkäufe im geparkten Fahrzeug verstaut werden kommt und dann die Einkäufe fortgesetzt werden, kommt jedem einzelnen Geschäftsinhaber zugute. Insoweit ist bei der Beurteilung des funktionalen Zusammenhangs zwischen dem konkreten Vertrag und dem Schadensereignis auf diese Rahmenbeziehung abzustellen, die zum Zeitpunkt des Unfalls noch nicht beendet war.

Eine mögliche (vorvertragliche) Haftung eines Dritten (hier des Drogeriemarkts) bewirkt nicht ein Ende der Haftung der Supermarktbetreiberin.

OGH 28.5.2019, 4 Ob 13/19v

Das Urteil im Volltext.

Lesen Sie mehr:

Diesen Beitrag teilen

Facebook Twitter Drucken E-Mail

Das könnte auch interessant sein:

Vergleichsangebot von Aurena beseitigt laut OLG Graz die Wiederholungsgefahr

Vergleichsangebot von Aurena beseitigt laut OLG Graz die Wiederholungsgefahr

Der VKI hatte im Auftrag des Sozialministeriums insgesamt 27 Klauseln aus den AGB der Aurena GmbH – einem Veranstalter von Online-Versteigerungen – abgemahnt. Die Aurena GmbH war in Folge bereit, zu 22 Klauseln eine Unterlassungserklärung abzugeben, bestritt aber die Gesetzwidrigkeit der übrigen fünf Klauseln, woraufhin der VKI eine Verbandsklage einbrachte. Zentrales Thema im Verfahren um diese Klauseln war die Frage, ob Verbraucher:innen bei einem Kauf im Rahmen einer Auktion der Aurena GmbH ein Rücktrittsrecht haben. In den AGB wurde ein solches Rücktrittsrecht ausgeschlossen. Während das LG Leoben dem VKI zur Gänze recht gab und die fünf eingeklagten Klauseln für gesetzwidrig erklärte, war das OLG Graz als Berufungsgericht der Ansicht, dass die von der Aurena GmbH angebotene Unterlassungsverpflichtung trotz der vorgenommenen Einschränkung die Wiederholungsgefahr beseitigen würde. Die ordentliche Revision wurde nicht zugelassen. Das Urteil ist rechtskräftig.

„Zufriedenheits“-Garantie

„Zufriedenheits“-Garantie

Eine „gewerbliche Garantie“ kann sich auch auf subjektive Umstände der Verbraucher:innen wie die in ihr Belieben gestellte Zufriedenheit mit der erworbenen Ware beziehen, ohne dass das Vorliegen dieser Umstände für die Geltendmachung der Garantie objektiv geprüft werden müsste.

unterstützt durch das

Sozialministerium
Zum Seitenanfang