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Urteil: OGH für kostenlosen Reise-Rücktritt bei Terrordrohungen

Rund um die Festnahme und Verurteilung des PKK-Führers Öcalan im Jahr 1999 kam es zu einer Storno-Welle bei Türkei-Urlauben. Von Frühbuchern wurden von Reiseveranstaltern dennoch Stornogebühren verlangt. Zu Unrecht, wie der OGH in einem Musterprozess des VKI feststellt.

Die Konsumenten buchten am 1. 2.1999 für sich und ihre Kinder eine Reise nach Antalya für den Zeitraum vom 15.8.-29.8.1999. Nach Buchung der Reise wurde der PKK-Führer Öcalan festgenommen und wenig später zum Tode verurteilt. Bombenanschläge und Terrordrohungen der PKK, mit denen die gesamte Türkei zum "Kriegsgebiet" erklärt wurde, waren die Folge. Da weitere Terroranschläge drohten, erklärten die Konsumenten im Juli 1999 ihren Rücktritt vom Vertrag. Der Reiseveranstalter verlangte eine Stornogebühr von 311,62 Euro (4288 Schilling), die - vorbehaltlich der Rückforderung - zunächst bezahlt wurde. - Der VKI führte - im Auftrag des BMJ - einen Musterprozess und forderte die Stornogebühr zurück.

Erste Runde verloren

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren nicht statt, wenngleich es anmerkte, dass aufgrund der Medienberichterstattung über die Erhöhung des Risikos die Geltendmachung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht grundsätzlich ausgeschlossen sei. Allerdings fügte das Gericht hinzu, dass ein Rücktritt vom Vertrag unter Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage dann nicht berechtigt sei, wenn eine Vertragsanpassung möglich gewesen wäre. Im vorliegenden Fall wurde den Konsumenten eine kostenlose Umbuchung nach Tunesien angeboten. Aufgrund gesundheitlicher Probleme ihres minderjährigen Kindes hatten die Konsumenten auf Anraten ihres Arztes Tunesien als ungeeignetes Urlaubsziel jedoch ausgeschlossen. Das Erstgericht akzeptierte diese persönlichen Gründe nicht und lehnte einen kostenlosen Rücktritt ab.

Zweite Runde verloren

Das Berufungsgericht gab unserer Berufung keine Folge, da es im vorliegenden Fall an konkreten Hinweisen auf die Gefahr künftiger Anschläge im eigentlichen Urlaubszielgebiet gefehlt habe. Nach Auffassung des Berufungsgerichtes wäre ein Festhalten am Vertrag zumutbar gewesen. Auf die Überlegungen des Erstgerichtes zur möglichen Vertragsanpassung (Umbuchung) ging das Berufungsgericht erst gar nicht ein.

Dritte Runde gewonnen

Der OGH gab uns aber Recht: Er verwies auf die Entscheidung in einem anderen Musterprozess des VKI (8 Ob 99/99p, KRES 10/121), in der die Grundsätze festgelegt wurden, nach denen wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage der Rücktritt von einem Reisevertrag ohne Zahlung einer Stornogebühr zulässig sei. Demnach bestehe bei vereinzelten terroristischen Anschlägen kein Rücktrittsrecht. Die Anschläge bzw. Drohung mit Anschlägen müssten eine bestimmte Intensität erreichen, wobei eine Betrachtung ex ante anzustellen sei.

Falsche Vergleiche

Der vorliegende Fall sei mit der oben zitierten Entscheidung allerdings nicht vergleichbar - so der OGH. Im Fall "Rhodos" wurden keine weiteren Gewaltakte - insbesondere auf Urlauber oder Urlaubseinrichtungen - angekündigt. Es fehlte somit an konkreten Hinweisen auf die Gefahr künftiger gleichartiger Anschläge.

Türkei war gefährlich

Im gegenständlichen Fall jedoch hatte das Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten dem Fachverband für Reisebüros mehrmals mitgeteilt, dass Türkeireisen von einem erhöhten Sicherheitsrisiko betroffen seien. Auch Zeitungen hatten über Anschläge in verschiedenen Städten der Türkei und von der Gefahr weiterer Anschläge berichtet. Unerheblich war, dass die Anschläge in größerer Entfernung vom Ort des gebuchten Urlaubs stattfanden. Die Türkei war angesichts der besonderen Lage insgesamt als gefährliches Gebiet einzustufen. Der Rücktritt der Konsumenten war daher wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage berechtigt.

Umbuchung akzeptieren

Grundsätzlich hätten die Konsumenten die angebotene Umbuchung nach Tunesien akzeptieren müssen, zumal das Angebot (in Leistung und Preis) gleichwertig gewesen wäre. Allerdings vertrat der OGH die Auffassung, dass dem Ehepaar eine Reise nach Tunesien schon nach objektiven Kriterien unzumutbar gewesen wäre, da die Gesundheit ihres Kindes in Gefahr war. Sie mussten der Umbuchung daher nicht zustimmen.

Die Lehren aus der Entscheidung:

  • Terroranschläge und eine allgemein erkannte Bedrohungslage rechtfertigen einen kostenlosen Rücktritt von einer Reisebuchung wegen Wegfalles der Geschäftsgrundlage.
  • Wenn der Reiseveranstalter eine Möglichkeit zur gleichwertigen Umbuchung anbietet, muss man diese annehmen, ansonsten wäre ein Storno sehr wohl mit Kosten verbunden.
  • Ist das Angebot zur Umbuchung aber - nach objektiven Kriterien - nicht zumutbar, dann kann man das Angebot zur Umbuchung auch ablehnen und es bleibt beim kostenlosen Rücktritt. Wenn man ein Angebot zur Umbuchung ablehnt, sollte man also gute Gründe dafür anführen können.
  • Es wird im Einzelfall immer wieder Zweifelsfälle geben. In einem solchen Fall sollte man die Stornogebühr nur "vorbehaltlich rechtlicher Klärung und vorbehaltlich Rückforderung" bezahlen. Wer diesem - unseren Rat auch im Jahr 1999 - gefolgt ist, kann sich - bei ähnlichem Sachverhalt - auf die OGH Entscheidung berufen und allenfalls bezahlte Stornokosten auch heute noch rückfordern.
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