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Urteil: OGH zu Terror am Urlaubsort

Fehlen konkrete Hinweise auf die Gefahr künftiger Anschläge, kann man nicht kostenlos von der Reise zurücktreten.

In den Informationen zum Verbraucherrecht 4/99 haben wir - anlässlich der PKK Terror-Drohungen gegen Touristenziele in der Türkei - ausführlich über die - vereinzelte - österreichische Judikatur zur Frage des (kostenlosen) Reisestornos im Fall von Terror-Anschlägen am Urlaubsort berichtet. Nun liegt die dort angekündigte OGH-Entscheidung vor. In der Sache ging der Prozess verloren. Das Urteil enthält aber wertvolle Hinweise zur grundsätzlichen Frage, ab wann ein Reisender - wegen Wegfalles der Geschäftsgrundlage - kostenlos vom Vertrag zurücktreten kann.

Im konkreten Fall ging es um Bombenanschläge auf der Insel Rhodos im Jahr 1994. Zwei Tage vor einer geplanten Pauschalreise erklärte eine Familie ihren Rücktritt vom Reisevertrag. Wenige Tage zuvor waren Bomben auf der Insel Rhodos explodiert und Medien berichteten, dass vermutet werde, hinter dem Anschlag stecke ein Vergeltungsmanöver türkischer Terroristen. Den Medienberichten zufolge wurde auch mit weiteren Anschlägen gerechnet. Tatsächlich stellte sich später heraus, dass es sich lediglich um eine Fehde von zwei Hoteliers gehandelt hatte. Von seiten des Außenministeriums gab es weder eine Reisewarnung noch einen Hinweis auf "ein erhöhtes Sicherheitsrisiko".

Der Reiseveranstalter weigerte sich, die geleistete Anzahlung zurückzuzahlen. Daraufhin klagte der VKI auf Rückzahlung des Betrages. Das Verfahren wurde in 1.Instanz gewonnen und in den beiden Oberinstanzen verloren.

Der OGH referiert in seinem Urteil ausführlich die deutsche Judikatur und bezeichnet den zu entscheidenden Fall ausdrücklich als "Grenzfall". Im vorliegenden Fall war für den OGH ausschlaggebend, dass es an konkreten Hinweisen auf die Gefahr künftiger gleichartiger Anschläge gefehlt habe. Im vorliegenden Fall wurde daher das kostenlose Rücktrittsrecht verneint.

Der OGH hat sich aber darüber hinaus mit der Frage auseinandergesetzt, wann Terrorakte am Urlaubsort kostenlose Reisestornierungen rechtfertigen:

- Der Reisende kann, wenn sich nach Vertragsabschluß Ereignisse ergeben, die weder er noch der Vertragspartner zu verantworten haben, wegen Wegfalles der Geschäftsgrundlage dann ohne Zahlung einer Stornogebühr vom Vertrag zurücktreten, wenn die Durchführung der Reise für ihn unzumutbar geworden ist. Der Veranstalter trägt daher die sogenannte "Preisgefahr". Entgegenstehende Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) sind sittenwidrig und nichtig.

- Es sei allgemein anerkannt, dass eine nach Vertragsabschluß unerwartet auftretende akute Kriegsgefahr oder bei Vertragsabschluß nicht vorhersehbare bürgerkriegsähnliche Zustände Fälle höherer Gewalt darstellen würden, die den Rücktritt rechtfertigen.

- Bei Terroranschlägen am Urlaubsort muss man zwischen einem von jedem Einzelnen zu tragenden allgemeinen Lebensrisiko und Anschlägen einer Intensität unterscheiden, die unter Anlegung eines durchschnittlichen Maßstabes als Konkretisierung einer unzumutbaren Gefahr derartiger künftiger Anschläge erscheinen müssen. Dabei muss die Gefahr aus der Sicht eines durchschnittlichen - also weder eines besonders mutigen, noch eines besonders ängstlichen - Reisenden beurteilt werden, der die Gefahr im Lichte von Aussagen des Außenministeriums, aber auch seriöser Medienberichte vor Antritt der Urlaubsreise einschätzt. Dagegen ist nicht darauf abzustellen, wie sich die Sicherheitslage während und nach der Reise tatsächlich entwickelt hat.

- Der OGH sieht in einer eindeutigen Reisewarnung des Außenministeriums jedenfalls einen Grund zum kostenlosen Rücktritt; ob der Hinweis auf ein "erhöhtes Sicherheitsrisiko" im Zielgebiet ausreiche, hat der OGH aber dahingestellt lassen.

- Der OGH stellt auch auf den Zeitfaktor ab: Steht der Antritt der Reise nicht unmittelbar bevor, so sei es dem Kunden durchaus zuzumuten, vorerst die weitere Entwicklung abzuwarten. Ein vorschnell erklärter Rücktritt könne dann nicht mit dem Wegfall der Geschäftsgrundlage legitimiert werden. Treten die Unruhen oder Anschläge allerdings unvermutet unmittelbar vor dem geplanten Reiseantritt auf, ist ein weiteres Zuwarten mit der Rücktrittserklärung in der Regel nicht zumutbar und kann auch an die Informationspflicht des Kunden keine allzu umfassende Anforderung gestellt werden.

- Der OGH geht grundsätzlich davon aus, dass ein vereinzeltes unvermutetes Auftreten von Anschlägen am geplanten Urlaubsziel keinesfalls zum Vertragsrücktritt wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage berechtigen würde. Damit verwirkliche sich lediglich das allgemeine Lebensrisiko, das jedermann auch in seinem Heimatland tragen müsse.

- Anders sieht der OGH die Situation, wenn bei vereinzelten Anschlägen weitere derartige Gewaltakte zu befürchten sind, was insbesondere dann der Fall ist, wenn Terrororganisationen weitere Gewaltakte auf Urlauber oder Urlaubseinrichtungen ankündigen. Der OGH verweist in diesem Zusammenhang auf die Situation 1993 in der Türkei, als die PKK für konkrete Terroranschläge auf Touristen die Verantwortung übernommen und ausdrücklich weitere Attentate angekündigt hatte (3 C 1847/95d, BGHS Wien, KRES 7/102). In einem solchen Fall hätte sich das Risiko derart "verdichtet", dass zu Recht die Unzumutbarkeit des Reiseantritts angenommen wurde.

Dies bedeutet für die aktuelle Situation nach dem Todesurteil gegen Öcalan:

Im Lichte dieser Judikatur des OGH, wird man derzeit von einer gebuchten Türkei-Reise nur dann mit einiger Sicherheit kostenlos zutreten können, wenn sich - so die zynische Konsequenz des Urteiles - die Drohungen der PKK von Anschlägen gegen Touristen realisieren und es tatsächlich zu solchen Anschlägen kommt. In einem solchen Fall sollte es aber dann keine Diskussion geben und die Reiseveranstalter sollten kostenlose Rücktritte akzeptieren.

Wer dagegen unter Hinweis auf das "erhöhte Sicherheitsrisiko" (Außenministerium) bereits jetzt seinen Rücktritt vom Vertrag erklären möchte, kann die OGH-Entscheidung kaum für sich ins Treffen führen. Ein solcher Fall bleibt umstritten. Allerdings hat Konsumentenschutzministerin Prammer angekündigt, den VKI mit weiteren Musterprozessen betrauen zu wollen.

Daher ist allen, die - ohne auf Anschläge warten zu wollen - nunmehr den Rücktritt von Ihrer Reise erklären wollen, zu raten, in einem eingeschriebenen Brief an den Reiseveranstalter den Wegfall der Geschäftsgrundlage als Grund anzugeben und allfällige Stornogebühren nur "vorbehaltlich der rechtlichen Klärung und der Rückforderung" zu bezahlen.

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