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Urteil: Rücktritt vom Pauschalreisevertrag wegen Flutkatastrophe in Bangkok gerechtfertigt

Ein Rücktritt vom Pauschalreisevertrag wegen einer kurz vor Reisebeginn aufgetretenen Flutkatastrophe in Bangkok im Jahr 2011 aus dem Titel des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ist gerechtfertigt.

Die Konsumenten durften bei der Einschätzung der Lage auf die Medienberichterstattung vertrauen, die Einholung von zusätzlichen Informationen des Außenministeriums oder der thailändischen Botschaft seien nicht erforderlich. Der Reiseveranstalter muss die einbehaltene Stornogebühr an die Konsumenten zurückerstatten.

Die Konsumenten buchten beim beklagten Reiseveranstalter eine Reise für den Zeitraum von 19.10.2011 bis 9.11.2011 zu einem Preis von Euro 3.292,00. Im ersten Teil der Reise war ein Aufenthalt in Bangkok bis zum 25.10.2011 geplant. Zwei bis drei Wochen vor Reisebeginn erfuhren die Konsumenten, dass es in Thailand mehr regnete als für diese Zeit üblich. In der Woche vor Reiseantritt beschäftigten sich die Konsumenten intensiver mit der aktuellen Wetterlage in Thailand und verfolgten insbesondere die mediale Berichterstattung online und Printmedien genauer. Der Reiseveranstalter riet den Konsumenten nur zuzuwarten, weil die Möglichkeit bestünde, dass sich die Wetterlage innerhalb weniger Tage vor Abflug noch beruhige. Eine Stornierung sei nicht möglich. Am 18.10.2011 stornierten die Konsumenten die Reise. Vor der Stornierung holten die Konsumenten zu keiner Zeit offizielle Reiseinformationen von der österreichischen Botschaft in Thailand oder vom österreichischen Außenministerium ein. Eine Reisewarnung lag nicht vor. Die Entscheidung, die Reise zu stornieren beruhte allein auf der medialen Berichterstattung über die Hochwassersituation in Thailand.

Der VKI führt daher im Auftrag des Sozialministeriums einen Musterprozess auf Rückersatz der vom Reiseveranstalter einbehaltenen Stornogebühr in Höhe von 85% des Reisepreises, weil die Konsumenten aufgrund der vor Reisebeginn aufgetretenen Flutkatastrophe in Bangkok von Reisevertrag zurückgetreten sind.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren noch ab, weil es den Konsumenten als durchschnittlichen Reisenden zumutbar gewesen wäre neben der medialen Berichterstattung, welche mitunter durchaus aufbauschend und übertrieben sein könne, eine offizielle Stellungnahme durch das Außenministerium oder die Botschaft in Bangkok einzuholen zumal diese Informationen ebenso leicht zugänglich seien, bzw die Beklagte als Reiseveranstalter mit langjähriger Erfahrung in Asien zu kontaktieren, und um eine Einschätzung der Lage aufzufordern.

Das Berufungsgericht hingegen gab der Berufung des VKI Folge. Eingangs hielt das Gericht die - vorwiegend zu Terroranschlägen - entwickelten Grundsätze fest, die zu einem Rücktritt vom Pauschalreisevertrag wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage ohne Zahlung einer Stornogebühr berechtigen. Demnach sei ein solcher Rücktritt möglich, wenn die Reise für den Kunden aus nach Vertragsabschluss sich ergebenden, weder von ihm noch vom Vertragspartner zu verantwortenden oder zu beeinflussenden Ereignissen unmöglich oder - was hier strittig sei - unzumutbar werde.

Betreffend Terroranschläge finde sich der Rechtssatz, dass die zum Rücktritt berechtigende Unzumutbarkeit sich nur aus einer konkreten Gefahrenlage ableiten lassen könne. Sie müsste eine Intensität erreichen, die unter Anlegung eines durchschnittlichen Maßstabes als Konkretisierung einer unzumutbaren Gefahr derartiger künftiger Anschläge erscheine. Dabei müsse eine ex-ante-Betrachtung angestellt werden. Die spätere reale Entwicklung sei unerheblich. Eine eindeutige Reisewarnung durch das Außenamt könne in der Regel als stornofreier Rücktrittsgrund gewertet werden; ihr Nichtvorliegen sei allerdings noch kein zwingender Grund, eine erhebliche Gefährdung von vornherein abzulehnen (9 Ob 42/04y mwN).

Die Judikatur zu den Terroranschlägen lasse sich jedoch nicht ohne weiteres auf den vorliegenden Sachverhalt übertragen. Terroranschlägen - mögen sie auch noch so unmenschlich sein - wohne eine räumliche Begrenzung inne. Auf solche Anschläge werde mit erhöhten Sicherheits- und Überwachungsmaßnahmen der Behörden in allen Bereichen reagiert, damit Attentatspläne rechtzeitig aufgedeckt würden. Jedenfalls stünden dabei Menschen gegen ein - wenn auch unmenschliches und grauenhaftes - Menschenwerk.

Bei einer Naturkatastrophe stünden sich der Mensch und allfällig unbezwingbare bzw unbezähmbare Naturgewalten gegenüber. Daher werde dies für den Reisenden Anlass zu besonderer Sorge sein. Dabei werde der Reisende - so wie hier - vorzüglichst auf (insbesondere auch internationale) Medienberichterstattung als Erkenntnisquelle angewiesen sein. In der Regel verfüge ein Reisender nämlich nicht über ein entsprechendes Netzwerk an Informanten und Informationszuträgern, wie dies bei anderen Stellen, wie Behörden oder internationalen Konzernen, der Fall sei.

Im Sinne dieser Erwägungen sahen sich die Reisenden nach dem HG Wien durchaus berechtigterweise mit einer in Thailand bedrohlich ansteigenden Flut infolge Monsunregens konfrontiert. Die Berichte (etwa Spiegel Online, Süddeutsche, Stern) hätten tatsächlich nichts Gutes über die weitere Entwicklung bzw Ausdehnung der Flut gesagt. Nach der Rechtsprechung könnten Medienberichte und Informationssendungen in Rundfunk und Fernsehen sowie anerkannten seriösen Zeitungen grundsätzlich nicht als aus Sensationslust weit übertriebene Berichte abgetan werden. Bei den Konsumenten hätte bei der mehrfach angesprochenen ex-ante-Betrachtung der Gegebenheiten angesichts der Berichte der Eindruck entstehen müssen, am Zielort mit einer nicht unbeträchtlichen Gefahr konfrontiert zu werden. Dazu sei noch anzumerken, dass nicht nur eine mögliche konkrete Gefährdung des Reisenden durch die unmittelbare Einwirkung von Naturgewalt einen Rücktrittsgrund bilde, sondern auch, wenn zu befürchten sei, dass durch entsprechende (behördliche) Maßnahmen, wie Evakuierungen, Sperren etc., der Reisezweck selbst schwer beeinträchtigt oder gar vereitelt werden könne. Es erscheine daher nicht zumutbar, in eine Stadt zu reisen, in der ein Ausnahmezustand mit all seinen Folgen herrschen könne. Außerdem stornierten die Reisenden erst einen Tag vor Abreise.

Nach den Feststellungen haben sich die Konsumenten am 15.10.2011 auch an den Reiseveranstalter gewandt. Dort wurde ihnen der befremdlich erscheinende Ratschlag erteilt, zuzuwarten, weil die Möglichkeit der Wetterbesserung bestünde. Warum die Beklagte, die sehr wohl über Informationen aus dem Gebiet verfügte, den Reisenden keine Information erteilte, dass sie etwa nichts zu befürchten hätten und die Reise unbesorgt antreten könnten, sei nicht nachvollziehbar. So könne von einem Reisenden jedenfalls nicht erwartet werden abzuschätzen bzw. zu prognostizieren, inwieweit sich die Flut ausbreiten und vielleicht doch jene Gegenden in Bangkok betreffen werde, wo der Aufenthalt geplant gewesen sei.

Jedenfalls habe es bei der dargestellten Informationslage keiner weiteren Auskunft des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten oder der thailändischen Botschaft bedurft.

Die Reisenden traten berechtigt vom Reisevertrag zurück, dem Klagebegehren war statt zu geben.

Die ordentliche Revision wurde nicht zugelassen. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig (Stand 28.08.2014).

HG Wien 24.7.2014, 1 R 214/13m
Klagevertreter: Dr. Gerhard Deinhofer, RA in Wien

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