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Urteil: Unzulässige Haftungseinschränkungen bei professionellem Schneeräumdienst

Bei Inanspruchnahme eines Winterdienstes dürfen Verbraucher mit einer den gesetzliche Vorgaben entsprechenden Räumung der vereinbarten Flächen rechnen. Abweichende Vereinbarungen sind laut HG Wien unzulässig. Das Gericht befand zahlreiche Vereinbarungen über Haftungsbeschränkungen für unzulässig sowie die verfahrensgegenständlichen AGB-Klauseln aufgrund der schlechten Lesbarkeit für intransparent.

Der VKI klagte im Auftrag des Sozialministeriums die A.S.S. Anlagen Service GmbH wegen insgesamt 20 Klauseln in deren "Allgemeinen Geschäftsbedingungen - Winterdienst" (AGB). Sämtliche eingeklagten Klauseln wurden vom HG Wien für unzulässig erklärt.  


Klausel 1: (1) LEISTUNGSVERPFLICHTUNG Die Firma A.S.S. Anlagen Service System GmbH bzw. deren Subunternehmer, im weiteren Auftragnehmer genannt, verpflichten sich, die im Vertrag angeführten und vom Auftraggeber überprüften Flächen in der Zeit vom 1.November eines Jahres bis zum 15. April des nächsten Jahres entsprechend den behördlichen Vorschriften nach Erfordernissen und wirtschaftlicher Zumutbarkeit von Schnee zu reinigen und bei Glatteis zu streuen.

Ein Eigentümer einer bebauten Liegenschaft im Ortsgebiet unterliegt den in § 93 StVO normierten Räumungspflichten. Beauftragt er einen Winterdienst, erwartet er sich, dass dieser seine Räumungspflichten zumindest im gesetzlich vorgesehen Ausmaß erfüllt. § 93 StVO sieht ua vor, dass die Gehsteige zwischen 6 und 22 Uhr von Schnee und Glatteis geräumt sein müssen. Für Verbraucher ist es laut Gericht überraschend und benachteiligend (§ 864a ABGB), dass die gesetzliche Leistungsverpflichtung auf "behördlichen Vorschriften" und eine "wirtschaftliche Zumutbarkeit" eingeschränkt werden und Verbraucher trotz Beauftragung eines Winterdienstes ihrer gesetzlichen Räumungspflicht in diesen Fällen selbst nachkommen müssen.

 

Klausel 2: (2.1) Die Räumung und Streuung der vereinbarten Flächen erfolgt nach den maßgeblich gesetzlichen Vorschriften (§ 93 Abs. 1 Straßenverkehrsordnung 1960), bei anhaltenden Schneefällen in Intervallen von 5-7 Stunden und in Wien nach den gesetzlichen Vorschriften der Winterdienstverordnung 2003.

Das Gericht erachtet die angefochtenen Klauseln der AGB aufgrund Ihrer kleinen Schriftgröße von 5,5pt für keinesfalls mühelos lesbar. Auch die Gliederung ist unübersichtlich, da die Überschriften weder in größerer Schrift noch in Fettdruck abgebildet sind. Unbeachtlich ist hier, dass die AGB auf der Homepage zum Download und somit zur individuellen Einstellung der Schrittgröße zur Verfügung stehen. Sämtliche angefochtenen AGB sind daher intransparent.

 

Klausel 3: (2.3) Bei Schneehöhen bis zu 10 cm ist mit einer Betreuung im Zeitraum von 5-7 Stunden nach Beginn der Niederschläge zu rechnen.

Klausel 4: (2.4) Der Auftragnehmer ist nicht verpflichtet, Schnee höher als 80 cm aufzutürmen.

In Klausel 7 (3.1) beschränkt der Unternehmer seine Haftung auf seine AGB. Demnach haftet der Verbraucher gemäß den gesetzlichen Vorgaben von § 93 StVO selbst und nicht der beauftragte Winterdienst für die Fälle, die nicht von Klausel 3 und 4 umfasst sind. Da der Verbraucher aber damit rechnet, dass seine gesetzliche Haftung für die Räumung der Gehsteige für den Zeitraum von 6-22 Uhr (s § 93 StVO) auf den beauftragten Winterdienst übergeht, beurteilt das Gericht die Klausel 3 und 4 für überraschend und nachteilig iSv § 864a ABGB. Die Klauseln werden nicht Vertragsinhalt.

 

Klausel 5: (2.6) Als Streumittel wird Streusplitt sowie ein vom Gesetzgeber genehmigtes Auftaumittel verwendet. Für daraus entstehende Schäden übernimmt der Auftragnehmer keine Haftung.

Die Klausel sieht einen Haftungsausschluss für sämtliche durch Streumittel verursachte Schäden vor. Es wird weder zwischen Personen- und Sachschäden noch grobem und leichtem Verschulden differenziert. Das Gericht beurteilt die Klausel als Verstoß gegen § 6 Abs 1 Z 9 KSchG und § 879 Abs 3 ABGB.

 

Klausel 6: (3.1) Der Auftragnehmer haftet dem Auftraggeber im Rahmen dieser Geschäftsbedingungen gegenüber Dritten und Behörden für Schadensfälle, welche auf grob fahrlässige oder vorsätzliche Pflichtverletzungen seiner Mitarbeiter zurückzuführen ist.

Gemäß § 93 StVO und (innerhalb von Wien) gemäß § 10 Abs 2 lit b iVm § 8 Abs 2 Winterdienstverordnung 2003 haftet der beauftragte Winterdienst anstatt des Liegenschaftseigentümers, wenn der Liegenschaftseigentümer seine Pflichten an jenen überträgt. Die in der Klausel vorgesehene Haftungsbeschränkung auf grob fahrlässiges und vorsätzliches Verhalten schließt die Haftung für leichte  Fahrlässigkeit aus. Laut Gericht ist diese Klausel gesetzwidrig. Sie verstößt gegen § 879 Abs 1 ABGB. Ebenfalls beurteilt das HG Wien die Klausel als Verstoß gegen das Richtigkeitsgebot des § 6 Abs 3 KSchG.

 

Klausel 7: (3.1) Diese Haftung beginnt 5 Tage nach Zahlungseingang des im Vertrag festgesetzten Entgeltes beim Auftragnehmer.

Da der Verbraucher davon ausgeht, dass seine Haftung mit Vertragsabschluss auf die Beklagte übergeht, muss er nicht damit rechnen, dass die Haftung dahingehend beschränkt wird, dass sie erst dann greift, wenn er seine eigene Leistungspflicht erfüllt hat. Die Klausel ist somit nachteilig und überraschend iSd § 864a ABGB und wird laut Gericht nicht zum Vertragsbestandteil.

 

Klausel 8: (3.2) Der Auftragnehmer lehnt die Haftung für alle Unfälle ab, die sich auf bereits geräumten oder nachträglich durch Dritte (z.B. einparkende Autos, Straßenräumgeräte, spielende Kinder, usw.) verunreinigten Gehsteigen ereignen.

Der Klausel zufolge haftet der Winterdienst auch dann nicht, wenn dieser einen Zustand auf einem Gehsteig bei der Reinigung grob fahrlässig oder vorsätzlich verursacht hat, der später zu einem Unfall führt. Das Gericht befindet die Klausel demnach als unzulässig iSv § 6 Abs 1 Z 9 KSchG und § 879 Abs 3 ABGB.

 

Klausel 9: (4.2) Zahlungsverzug des Auftraggebers entbindet den Auftragnehmer von jeder Haftungs- und Reinigungsverpflichtung.

Der Klausel zufolge liegt ein vollumfänglicher vorübergehender Haftungsausschluss bei unverschuldetem Zahlungsverzug des Verbrauchers vor. Dies verstößt laut HG Wien gegen § 6 Abs 1 Z 9 KSchG. Weiters entfällt auch unabhängig davon, aus welchem Grund der Konsument in Zahlungsverzug gerät, die Leistungsverpflichtung des Unternehmers. Dies befindet das Gericht für gröblich benachteiligend gemäß § 879 Abs 3 ABGB.  

 

Klausel 10: (4.3) Der Auftraggeber trägt alle Mahn- und Inkassospesen, insbesondere die Kosten eines vom Auftragnehmer beigezogenen Anwaltes, sowie Verzugszinsen in Höhe von 14 % p.a.

Auch hier haftet der Verbraucher für die Folgen eines unverschuldeten Zahlungsverzugs. Die Klausel ist gröblich benachteiligend iSv § 879 Abs 3 ABGB. Weiters handelt es sich bei Verzugszinsen von 14% um eine Vertragsstrafe, da diese das gesetzliche Ausmaß von 4% übersteigen. Bei einem unverschuldeten Zahlungsverzug hätte diese jedoch ausdrücklich vereinbart werden müssen.

Die Klausel widerspricht auch § 1333 Abs 2 ABGB, wonach nur die notwendigen Kosten zweckentsprechender Betreibungs- und Einbringungsmaßnahmen, die in einem angemessenen Verhältnis zur betriebenen Forderung stehen, zu ersetzen sind.

 

Klausel 11: (4.3) Der Auftragnehmer ist ohne Entgeltminderung und vorherigen Mahnungen von jeder Haftung und Arbeitsverpflichtung bis 5 Tage nach Zahlungseingang befreit.

Wiederum wird ein vollumfänglicher, wenn auch nur vorübergehender, Haftungsausschluss unabhängig vom Grad des Verschuldens, statuiert. Einer der Hauptgründe eines Verbrauchers, mit einem Unternehmen einen Vertrag über einen Winterdienst abzuschließen ist, dass bei Abschluss des Vertrages auch allfällige Haftungen auf diesen übergehen. Da solch ein Vertrag schon mit übereinstimmenden Willenserklärungen zustande kommt, ist es für den Verbraucher überraschend, wenn der Unternehmer seine Haftungs- und Leistungsverpflichtung dahingehend beschränkt, dass diese erst 5 Tage nach Zahlungseingang eintritt. Der Verbraucher brauchte mit dieser nachteiligen Vertragsbestimmung nicht rechnen, weshalb sie gemäß § 864a ABGB nicht Vertragsbestandteil wurde.

 

Klausel 12: (4.3) Sämtliche offene Raten werden sofort zur Zahlung fällig.

Der Unternehmer darf die gesamte noch offene Schuld bei Zahlungsverzug des Verbrauchers nur dann fordern, wenn er sich dieses Recht vorbehalten hat, er seine Leistung bereits erbracht hat, eine rückständige Leistung des Verbrauchers mindestens 6 Wochen fällig ist und der Unternehmer den Verbraucher unter Androhung des Terminsverlustes und unter Setzung einer Nachfrist von mindestens 2 Wochen erfolglos gemahnt hat. Die Klausel verstößt bei analoger Anwendung gegen § 14 Abs 3 VKrG. Weiters ist die Klausel gröblich benachteiligend, weil der Terminsverlust auch unverschuldet und unabhängig der Höhe des Verzugsbetrags eintritt.  

 

Klausel 13: (5.) Falls der Auftrag nicht bis zum 1. August schriftlich mittels eingeschriebenen Briefes gekündigt wird, verlängert er sich automatisch jeweils für die nächste Wintersaison.

Die Klausel stellt eine unzulässig vereinbarte Erklärungsfiktion dar, da angenommen wird, dass der Verbraucher den Vertrag, wenn er ihn nicht bis zu einem bestimmten Zeitpunkt kündigt, verlängern will. Auf solch eine Erklärungsfiktion müsste die Beklagte den Verbraucher nach § 6 Abs 1 Z 2 KSchG fristgerecht und gesondert hinweisen. Auch die Verpflichtung, dass Verbraucher nur mittels eingeschriebenem Brief kündigen können, stellt ein unzulässig Formerfordernis iSv § 6 Abs 1 Z 4 KSchG dar.  

 

Klausel 14: (5.) Dieser Konsumentenschutz findet bei Privatpersonen keine Anwendung.

Das Gericht beurteilt die Formulierung "dieser Konsumentenschutz" als unklar und mehrdeutig. Es könnte ua so verstanden werden, dass die Bestimmungen des KSchG für diesen Vertrag nicht anwendbar sind. Die Klausel ist folglich intransparent iSv § 6 Abs 3 KSchG.

 

Klausel 15: (5.2) Zuschläge und Nachlässe sind variabel. Ihre Änderung bedingt keine Vertragskorrektur.

Für das Gericht ist völlig unklar, um welche Zuschläge und Nachlässe es sich hier handelt und nach welchen Kriterien diese variieren. Die Klausel ist demnach intransparent gemäß § 6 Abs 3 KSchG. Eine Erhöhung der Zuschläge frei nach dem Willen des Unternehmers und ohne Zustimmung des Verbrauchers würde weiters gegen § 6 Abs 1 Z 5 KSchG verstoßen.

 

Klausel 16: (5.2) Vereinbarte Mehrjahresrabatte müssen zurückgezahlt werden, wenn diese vom Auftraggeber vorzeitig aufgekündigt wurden.

Der Klausel zufolge wird der Rückzahlungsbetrag mit längerer Vertragsdauer bei vorzeitiger Kündigung stetig höher. Dies ist laut Gericht mangels sachlicher Rechtfertigung gröblich benachteiligend iSd § 879 Abs 3 ABGB (vgl 7 Ob 81/17p).

 

Klausel 17: (6.) FÜR SCHÄDEN DURCH RÄUMGERÄTE UND STREUMITTEL an Verkehrsflächen und Grünanlagen, auch deren Einfassungen, wenn deren Abgrenzungen bei Schneelage nicht eindeutig ersichtlich sind, sowie für Frostausbrüche kann keine Haftung übernommen werden.

Die Klausel regelt einen Haftungsausschluss unabhängig vom Grad des Verschuldens. Laut Gericht verstößt die Klausel demnach gegen § 6 Abs 1 Z 9 KSchG, § 879 Abs 3 ABGB und gegen das Richtigkeitsgebot iSv § 6 Abs 3 KSchG.

 

Klausel 18: (7.) Bei Verlust des Schlüssels wird nur der Ersatz im Wert des Einzelschlüssels geleistet.

Klausel 19: (8.) Es kann keine Haftung für die aus der Montage resultierenden Schäden oder Verunreinigungen übernommen werden.

Beide Klauseln sehen eine Haftungseinschränkung, unabhängig vom Grad des Verschuldens vor. Etwaige Nebenkosten, wie der Austausch des Schlosses, bleiben unberücksichtigt. Laut Gericht verstoßen beide Klausel demnach gegen § 6 Abs 1 Z 9 KSchG, § 879 Abs 3 ABGB und gegen das Richtigkeitsgebot iSv § 6 Abs 3 KSchG.

 

Klausel 20: (9.) Jede Abweichung von diesen Allgemeinen Geschäftsbedingungen bedarf zur ihrer Rechtswirksamkeit der schriftlichen Bestätigung von A.S.S. Anlagen Service Systeme GmbH

Formlose Erklärungen des Unternehmers können gemäß § 10 Abs 3 KSchG nicht rechtswirksam ausgeschlossen werden. Es könnte nämlich dazu kommen, dass die Beklagte vorteilhafte mündliche Vereinbarungen mit einem Verbraucher schließt, und diese dann im Anschluss unter Verweis auf ihre AGB zurücknimmt. Die Klausel ist laut Gericht unzulässig.

 

Die Entscheidung ist rechtskräftig.

HG Wien 30.11.2020, 30 Cg 25/20h
Klagsvertreter: Dr. Stefan Langer, Rechtsanwalt in Wien

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