Der VKI brachte im September 2018 für rund 10.000 Geschädigte 16 Sammelklagen mit einem Streitwert von rund 60 Millionen Euro gegen die Volkswagen AG (VW) bei allen Landesgerichten Österreichs ein. Seit Beginn der Gerichtsverhandlungen versucht VW, die Prozesse zu verzögern und weigert sich beharrlich, die Betroffenen zu entschädigen. Nachdem VW Ende Mai in einer auch für Österreich grundlegenden Entscheidung des deutschen Bundesgerichtshofs erstmals höchstgerichtlich wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung verurteilt wurde, bringt nun ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs weiteren Rückenwind für geschädigte Konsumentinnen und Konsumenten: Der EuGH bestätigt die Zuständigkeit österreichischer Gerichte in den VKI-Sammelklagen und erteilt der Verzögerungsstrategie von VW damit eine klare Absage.
Mitte September 2015 hatte VW eingestanden, bei Dieselmotoren der Marken VW, Audi, SEAT und Skoda aus der Konstruktionsserie EA 189, Abgastests mit Hilfe einer unzulässigen Motorsteuerungssoftware manipuliert zu haben. Während Betroffene in den USA innerhalb von 6 Monaten entschädigt wurden, warten Betroffene in Österreich nach wie vor auf ihr Geld: VW hat Entschädigungszahlungen hierzulande bislang verweigert. Der VKI brachte daher im September 2018 im Auftrag von BMSGPK und BAK und mit Finanzierung der OMNI BRIDGEWAY (vormals ROLAND Prozessfinanz AG) 16 Sammelklagen für rund 10.000 Geschädigte bei allen Landesgerichten Österreichs gegen VW ein.
Seit das Landesgericht Klagenfurt im April 2019 ein Vorabentscheidungsverfahren zur Frage der Zuständigkeit österreichischer Gerichte beim Europäischen Gerichtshof eingeleitet hatte, liegen die Verfahren weitgehend auf Eis.
Nunmehr liegt das Urteil des EuGH vor, das dem VKI vollumfänglich Recht gibt und die Zuständigkeit österreichischer Gerichte bestätigt.
EuGH bestätigt Gerichtsverfahren in Österreich
Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH hat der Geschädigte im Rahmen des Deliktsgerichtsstands nach Art 7 Nr 2 EuGVVO die Wahl, am Ort der schädigenden Handlung oder am Ort des Schadenseintritts zu klagen. VW hatte bestritten, dass der Ort des Schadenseintritts in Österreich liegt. Der EuGH erteilt dieser Argumentation nun eine klare Absage:
Der Schaden verwirklicht sich in dem Mitgliedstaat, in dem der Käufer das Fahrzeug von einem Dritten zu einem über seinem tatsächlichen Wert liegenden Preis erwirbt.
Dieser Schaden stellt laut EuGH einen Primärschaden dar, der nicht bloß mittelbare Folge des Schadens früherer Käufer ist. Nach dem EuGH stellt der Schaden auch keinen reinen Vermögensschaden dar. Die Schadenersatzklage ziele zwar auf einen Ersatz der mit 30 % des Kaufpreises geschätzten Wertminderung der Fahrzeuge ab; der bloße Umstand, dass der Schadenersatz in Euro ausgedrückt wird, bedeute allerdings nicht, dass es sich um einen reinen Vermögensschaden handelt, weil Fahrzeuge und damit Sachgüter betroffen sind. Damit unterscheidet der EuGH die Fälle von einem Anlegerschaden, der nur in einer Verringerung der finanziellen Vermögenswerte der Geschädigten ohne jeden Bezug zu Sachgütern führt.
Es handle sich vielmehr um einen materiellen Schaden, der zu einem Wertverlust jedes betroffenen Fahrzeugs führt und sich daraus ergibt, dass mit der Aufdeckung des Einbaus der Manipulationssoftware die Gegenleistung für den Kaufpreis ein mangelhaftes Fahrzeug ist, das einen geringeren Wert hat.
Die Vorhersehbarkeit für VW sieht der EuGH als gewahrt an: So könne ein Hersteller, der unzulässige Manipulationen an in anderen Mitgliedstaaten in Verkehr gebrachten Fahrzeugen vornimmt, vernünftigerweise erwarten, dass er vor den Gerichten dieser Staaten auch verklagt wird. Ein Hersteller, der wissentlich gegen gesetzliche Vorschriften verstößt, müsse damit rechnen dass der Schaden an dem Ort eintritt, an dem das Fahrzeug von einem Käufer erworben wurde.
Der EuGH betont ferner, dass seine Auslegung von Art 7 Nr 2 EuGVVO Kohärenzerfordernissen entspreche, weil Art 6 Abs 1 Rom II-VO für die Frage des anwendbaren Rechts auf den Ort des Schadenseintritts abstellt. Eine Handlung wie hier stelle ein unlauteres Wettbewerbsverhalten dar, da sie die kollektiven Interessen der Verbraucher als Gruppe beeinträchtigen kann. Somit sei auch nach Rom II-VO auf jenen Ort abzustellen, an dem das Fahrzeug gekauft wird. Damit stellt der EuGH zugleich klar, dass in der Sache österreichisches Recht anzuwenden ist.
BGH verurteilt VW in Deutschland - Implikationen für Österreich
Starken Rückenwind für die VKI-Sammelklagen bringt ein vor kurzem ergangenes höchstgerichtliches Urteil aus Deutschland: Dort wurde VW vom deutschen Bundesgerichtshof (BGH) in einem Grundsatzurteil vom 25.05.2020 zur Leistung von Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung verurteilt. Laut BGH handelte VW arglistig und aus reinem Gewinnstreben, der Schaden des Käufers entsteht bereits mit Abschluss des Kaufvertrags. In Deutschland nahm VW diese Grundsatzentscheidung zum Anlass, deutschen Klägern einen Vergleich anzubieten. In Österreich hat sich VW Vergleichsgesprächen bis dato stets verweigert.
Dieses Urteil hat auch für Österreich starke Signalwirkung und ist aufgrund der vergleichbaren Rechtslage weitgehend übertragbar: Auch hierzulande begründet das vom BGH festgestellte qualifizierte Fehlverhalten von VW Schadenersatzansprüche der Betroffenen, auch hier haben die Betroffenen einen überhöhten Kaufpreis für ein manipuliertes Kfz bezahlt.
Zugleich sprechen nach Ansicht des VKI gute Gründe dafür, dass Betroffene keine Verjährung ihrer Ansprüche befürchten müssen, weil die qualifizierte Schädigung eine 30-jährige Verjährungsfrist auslöst (§ 1489 Satz 2 Fall 2 ABGB). Das ist wesentlich, weil es in Österreich neben den derzeit in den Sammelklagen vertretenen 10.000 Geschädigten noch rund 300.000 weitere Betroffene gibt, die ihre Ansprüche bislang überhaupt nicht geltend gemacht haben. Ihre Chancen auf eine Entschädigung sind nach den jüngsten Urteilen nicht nur intakt, sondern deutlich gestiegen.
EuGH 09.07.2020, Rs 343/19 (Verein für Konsumenteninformation vs VW)
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Klagevertreter: Dr. Alexander Klauser, Mag. Michael Poduschka