Zum Inhalt

Urteil zur vorzeitigen Kreditrückzahlung

Der VKI führt im Auftrag des Sozialministeriums ein Verfahren gegen die Unicredit Bank Austria AG. Es geht in dem Verfahren um die Frage, ob bei vorzeitiger Kreditrückzahlung auch die laufzeitunabhängigen Kosten  anteilig zurückerstattet werden müssen und ob dies auch für die Rechtslage vor dem 1.1.2021 gilt. Das OLG Wien gab dem VKI Recht und bestätigte, dass auch nach der alten Rechtslage bei vorzeitiger Kreditrückzahlung nicht nur die laufzeitabhängigen Kosten, sondern auch die laufzeitunabhängigen Kosten anteilig von der Bank zurückzuerstatten sind. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Die beklagte Bank verwendete  im Jahr 2020 folgende Klausel in ihren Kreditverträgen nach dem HIKrG: „Klargestellt wird, dass die laufzeitunabhängigen Bearbeitungsspesen nicht – auch nicht anteilig – rückerstattet werden.

Das erstinstanzliche Gericht hatte die Klage abgewiesen. Das OLG Wien hingegen gab der Klage nun statt:

Nach Art 16 Abs 1 Verbraucherkredit-Richtlinie (2008/48/EG – VKrRL) und Art 25 Abs 1 der Wohnimmobilienkredit-Richtlinie (2014/17/EU - WIKrRL) hat der Verbraucher bei vorzeitiger Kreditrückzahlung das Recht auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits.

§ 16 Abs 1 Verbraucherkreditgesetz (VKrG) lautete in der zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung geltenden Fassung: „…Die vom Kreditnehmer zu zahlenden Zinsen verringern sich bei vorzeitiger Kreditrückzahlung entsprechend dem dadurch verminderten Außenstand und gegebenenfalls entsprechend der dadurch verkürzten Vertragsdauer; laufzeitabhängige Kosten verringern sich verhältnismäßig.“ § 20 Abs 1 Hypothekar- und Immobilienkreditgesetz (HIKrG) lautete genauso.

Nach der Entscheidung des EuGH vom 11.9.2019 C-383/18 zu Artikel 16 Abs 1 VKrRL (idF kurz: Lexitor) sind sämtliche dem Verbraucher auferlegte Kosten – sowohl laufzeitabhängige wie auch laufzeitunabhängige – zu ermäßigen.

Seit 1.1.2021 lautet der letzte Satz des § 16 Abs 1 VKrG und in Art 20 Abs 1 HIKrG auszugsweise: „Die vom Kreditnehmer zu zahlenden Zinsen verringern sich […]; die Kosten verringern sich verhältnismäßig.“

Gemäß § 29 Abs 12 VKrG tritt § 16 VKrG in der neuen Fassung mit 1.1.2021 in Kraft und ist auf Kreditverträge und Kreditierungen anzuwenden, die nach dem 11.9.2019 geschlossen beziehungsweise gewährt werden, sofern die vorzeitige Rückzahlung nach dem 31.12.2020 geleistet wird. Gemäß § 31 Abs 5 HIKrG tritt § 20 HIKrG in der neuen Fassung mit 1.1.2021 in Kraft und ist auf Kreditverträge und Kreditierungen anzuwenden, die nach dem 31.12.2020 geschlossen beziehungsweise gewährt werden.

Damit hat sich nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz (25.8.2020) die anzuwendende Rechtslage geändert. Ändert sich die Rechtslage während des Verfahrens, hat eine Parallelprüfung nach altem und neuem Recht zu erfolgen.

Zur Prüfung nach altem Recht:

Inhaltlich von einer Richtlinie berührte Normen sind so weit wie möglich im Einklang mit der Richtlinie (also richtlinienkonform) auszulegen. Eine in Wortlaut und Sinn eindeutige Regel darf nicht richtlinienkonform gegenteilig interpretiert werden (4 Ob 120/10s). Die Pflicht zur richtlinienkonformen Interpretation erstreckt sich also nur bis zur „Grenze der äußersten Wortschranke“. Innerhalb dieser Grenze ist aber auch eine Rechtsfortbildung durch Analogie oder durch teleologische Reduktion bei einer planwidrigen Umsetzungslücke möglich.

Ein Widerspruch zwischen nationalem Recht und Richtlinie ist im Wege der Auslegung tunlichst zu vermeiden.

Wenn und soweit daher das nationale Gericht teleologische Reduktion oder Analogie im nationalen Recht anwendet, muss es diese Instrumente auch zum Zweck richtlinienkonformer Auslegung einsetzen, wobei der vom konkreten Regelungswillen des Gesetzgebers gedeckte Wortlaut keine unüberschreitbare Grenze ist.

§ 16 Abs 1 VKrG alt verbietet die anteilige Rückerstattung laufzeitunabhängiger Kosten nicht, sondern sagt darüber nichts aus. Es ist also nicht ausdrücklich angeordnet, dass nach einer vorzeitigen Kreditrückzahlung laufzeitunabhängige Kosten nicht (anteilig) zurückzuzahlen sind. Die Bestimmung erwähnt laufzeitunabhängige Kosten gar nicht.

Die Entscheidung Lexitor hat – nachträglich – eine Gesetzeslücke aufgezeigt. Es ist daher kein Umkehrschluss zu ziehen, sondern die Lücke mittels Analogie zu füllen. Dass sich eine planwidrige Regelungslücke auch daraus ergeben kann, dass der Gesetzgeber eine richtlinienkonforme Regelung schaffen wollte, dieses Vorhaben aber - wie sich nachträglich aus der Auslegung der Richtlinie durch den EuGH ergibt - nicht zur Gänze umgesetzt hat, hat der OGH in 4 Ob 208/10g unter Berufung auf den BGH ausdrücklich bejaht.

Eine Auslegung durch Lückenfüllung entspricht dem grundsätzlichen Umsetzungswillen des Gesetzgebers auch zu § 16 Abs 1 VKrG alt; das lässt bereits die Formulierung in den Erläuternden Bemerkungen zu den damaligen Gesetzesänderungen „Zur Sicherstellung einer richtlinienkonformen Rechtslage“ (vgl 650 der Beilagen XXIV. GP - Regierungsvorlage - Vorblatt und Erläuterungen) erkennen.

 

Zur Prüfung nach der neuen Rechtslage:

Nunmehr wurde das Wort „laufzeitabhängig“ in beiden Bestimmungen gestrichen. Aus den Erläuternden Bemerkungen zu § 16 Abs 1 VKrG geht hervor, dass auch nach Ansicht des Gesetzgebers eine Anordnung der Rückerstattung allein von laufzeitabhängigen Kosten nicht zulässig ist. Ein undifferenziertes Abstellen auf eine mangelnde Rückerstattbarkeit von laufzeitunabhängigen Kosten steht mit der neuen (und bei richtlinienkonformer Auslegung auch mit der alten) Rechtslage nicht im Einklang.  Dass diesselben Erwägungen auch für § 20 HIKrG zu gelten haben, lässt der Gesetzgeber in den Erläuternden Bemerkungen zu dieser Bestimmung eindeutig erkennen.

Die Vorlagefrage, die zur Entscheidung Lexitor geführt hat, hat sich aus einer Wortfolge in Art 16 Abs 1 VKrRL ergeben. Diese Wortfolge ist in der WIKrRL gleich und daher auch gleich auszulegen.

Ist das Ergebnis der Auslegung des Unionsrechts unzweifelhaft, ist iSd acte-clair-Doktrin die Anrufung des EuGH entbehrlich. Eine Vorlage an den EuGH erübrigt sich hier nach Ansicht des Berufungsgerichts.

Die Klausel ist daher sowohl nach der alten als auch nach der neuen Rechtslage gemäß § 879 ABGB unzulässig.

Das OLG Wien hat sowohl für das Verwenden als auch für das Sich-Berufen auf die Klausel eine dreimonatige Leistungsfrist gesetzt.

 

Das Urteil ist nicht rechtskräftig (Stand: 1.3.2021). Die ordentliche Revision wurde nicht zugelassen.

OLG Wien 4.2.2021, 30 R 5/21g

Klagsvertreter: Dr. Stefan Langer, Rechtsanwalt in Wien

Zum News.

Das Urteil im Volltext.

Diesen Beitrag teilen

Facebook Twitter Drucken E-Mail

This could also be of interest:

OLG Wien: 48 unzulässige Timesharing-Klauseln

OLG Wien: 48 unzulässige Timesharing-Klauseln

Der VKI hatte die Hapimag AG wegen unzulässiger Klauseln in den AGB ihrer Timesharing-Verträge geklagt. Das OLG Wien erklärte nun alle 48 angefochtenen Klauseln für unzulässig. Wichtigster Aspekt des Urteils: Verbraucherrechtliche Bestimmungen kommen trotz „Aktionärsstatus“ der Kund:innen zur Anwendung.

OLG Wien: Dauerrabattklausel des Versicherers Allianz unzulässig

OLG Wien: Dauerrabattklausel des Versicherers Allianz unzulässig

Der VKI klagte im Auftrag der Arbeiterkammer Oberösterreich die Allianz Elementar Versicherungs AG wegen deren Dauerrabattklausel und deren Kündigungsklausel. Das OLG Wien gab dem VKI Recht und erklärte die Klauseln für unzulässig. Das Urteil ist rechtskräftig. Versicherungsnehmer:innen, die aufgrund der Dauerrabattklausel eine Nachforderung bezahlt haben, können diese nun zurückfordern.

OLG Graz: „Dauerrabatt“-Klausel der Grazer Wechselseitigen unzulässig

OLG Graz: „Dauerrabatt“-Klausel der Grazer Wechselseitigen unzulässig

Der VKI klagte im Auftrag des Sozialministeriums die Grazer Wechselseitige Versicherung AG wegen deren „Dauerrabattklausel“. Das OLG Graz gab dem VKI Recht und erklärte die Klausel – wie auch schon das Erstgericht – für unzulässig. Das Urteil ist rechtskräftig. Versicherungsnehmer:innen, die aufgrund der Laufzeitrabattklausel eine Nachforderung bezahlt haben, können diese nun zurückfordern.

VKI: OGH beurteilt Kreditbearbeitungsgebühr der WSK Bank als unzulässig

Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) hatte im Auftrag des Sozialministeriums die WSK Bank wegen unzulässiger Klauseln in ihren Kreditverträgen geklagt. Jetzt liegt die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (OGH) vor: Dieser beurteilt diverse Gebühren und Spesenklauseln in den Kreditverträgen als unzulässig, darunter auch die Kreditbearbeitungsgebühr in Höhe von 4 Prozent. Betroffene Kund:innen der WSK Bank haben nach Ansicht des VKI Rückforderungsansprüche.

Timesharing-Anbieter Hapimag – 48 Klauseln unzulässig

Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) hatte die Hapimag AG wegen unzulässiger Klauseln in den AGB ihrer Timesharing-Verträge geklagt. Die Hapimag ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in der Schweiz, die ihren Mitgliedern Ferienwohnungen, Apartments und Hotels zur Verfügung stellt. Der VKI beanstandete 48 Bestimmungen in Geschäftsbedingungen, Reservierungsbestimmungen, Buchungsinformationen und den FAQs des Unternehmens. Das Handelsgericht Wien (HG Wien) erklärte nun alle 48 angefochtenen Klauseln für unzulässig. Wichtigster Aspekt des Urteils: Verbraucherrechtliche Bestimmungen kommen trotz „Aktionärsstatus“ der Kund:innen zur Anwendung. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

unterstützt durch das

Sozialministerium
Zum Seitenanfang