Das Landgericht Erfurt hat in einem sogenannten Hinweisbeschluss vom 25.3.2019 seine Absicht bekannt gemacht, 22 Fälle zu verbinden und gemeinsam dem EuGH vorzulegen. In diesen Fällen wird Schadenersatz gegen die VW AG geltend gemacht.
Das LG Erfurt benennt in seinem Hinweisbeschluss zwei wesentliche Themenbereiche, zu denen der EuGH befragt werden soll. Zum einen geht es um die Frage, ob dem Unions-Zulassungsrecht käuferschützende Wirkung zukommt und es sich somit bei den europäischen Vorgaben um Schutzgesetze handelt. Zum anderen ist durch den EuGH zu klären, ob im Fall einer Rückabwicklung ein Nutzungsvorteil von dem zu erstattendem Kaufpreis abzuziehen ist oder nicht.
Das LG Erfurt weist dabei darauf hin, dass die Verbindung mehrerer Fälle angezeigt ist, um es dem Gerichtshof zu ermöglichen, die vorgelegten Fragen trotz der etwaigen Rücknahme bezüglich einer oder mehrerer Rechtssachen zu beantworten. Das Gericht nimmt dabei ausdrücklich auf jenen Fall Bezug, bei dem es nach einem Vorlagebeschluss des LG Linz zur Problematik des Thermofensters zu einem Anerkenntnis der eingeklagten Ansprüche durch die VW AG gekommen ist (Vorlagebeschluss des LG Linz vom 9.7.2018, 63 Cg 27/16s, Rechtssache C-466/18). Nur damit war es für VW möglich gewesen, eine Entscheidung von grundsätzlicher - für VW potentiell nachteiliger Bedeutung - hintanzuhalten.
Hinsichtlich der ersten Fragengruppe weist das LG Erfurt darauf hin, dass der haftungsbegründende Schaden bereits im Abschluss eines Kaufvertrages liegt. Der Schaden besteht somit im Abschluss eines für jeden vernünftigen Käufer unangemessen und nachteiligen Vertrages. Auf einen - wohl zu bejahenden - merkantilen oder technischen Minderwert des Fahrzeuges kommt es dabei nicht mehr an.
Hinzu kommt, dass negative Auswirkungen der "Nachrüstung" keineswegs ausgeschlossen sind. Für das LG Erfurt stünden bereits jetzt eine erhöhte Partikelbildung und somit die Gefahr einer Versottung fest. Es könne auch Probleme mit dem Abgasrückführungsventil (AGR) und dem Partikelfilter geben. Auch eine geringere Lebensdauer des Fahrzeuges sei nicht ausgeschlossen.
Daher soll der EUGH klären, ob es einen drittschützenden Charakter des Zulassungsrechts gibt, ob also die RL 2007/46/EG zur Genehmigung von Kraftfahrzeugen auch dem Schutz des Käufers und dessen Vermögensinteressen dient. Da es Anhaltspunkte dafür gibt, dass die VW AG durch die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung gegen gegebenenfalls käuferschützende Regelungen verstoßen hat, sollte der EuGH auch das einem Hersteller obliegende Pflichtenprogramm bei der Kfz-Zulassung herausarbeiten.
Bei der zweiten Fragengruppe soll der EuGH klären, ob es unionsrechtlich geboten oder zumindest zulässig ist, im Lichte einer wirksamen Sanktionierung von Verstößen gegen das Unionsrecht, eine Nutzungsentschädigung zu kürzen oder ganz entfallen zu lassen.
Nach einem Medienbericht im Standard vom 5.4.2019 ist eine Vorlage an den EuGH in diesen 22 Fällen derzeit allerdings fraglich. VW strebt demnach außergerichtliche Einigungen und Verfahrenseinstellungen an, dies offenbar in allen 22 Fällen. Der angekündigte Verkündigungstermin des LG Erfurt wurde jedenfalls aufgehoben.
Eine Entscheidung des EuGH zu Fragen des Käuferschutzes durch die RL 2007/46/EG könnte für die in den Sammelklagen des VKI geltend gemachten Ansprüche auf Zahlung eines zu hohen Kaufpreises auch relevant sein, auch wenn dort verschiedenste Anspruchsgrundlagen geltend gemacht werden. Auch die Frage der Zulässigkeit eines Thermofensters ist für Schadenersatzansprüche - egal welcher Art - von Bedeutung. Letztere Frage könnte sich nach aktuellen Medienberichten auch beim Folgemotor des manipulierten EA 189 Motors stellen, dem EA 288.
LG Erfurt 25.3.2019, 8 O 1045/18
Klagevertreter: RAe Lenuzza aus Erfurt
VW Dieselskandal: LG Erfurt erwägt Vorlage grundlegender Fragen an EuGH
In einem Hinweisbeschluss hat das Landgericht Erfurt seine Absicht bekanntgegeben diverse Fragen rund um die unionsrechtlichen Zulassungsregeln im Zusammenhang mit dem VW Abgasskandal dem EuGH zur Entscheidung vorzulegen. Nach einem Medienbericht dürfte eine grundlegende Entscheidung aber wieder verhindert werden.