1. Bei Widersprüchen zwischen den vorliegenden Beförderungsbedingungen und unseren Regelungen haben die Beförderungsbedingungen Vorrang. (Pkt 2.3. ABB)
Die Klausel zwingt den Verbraucher dazu, im Einzelfall zu beurteilen, ob die „Regelungen“ der Beklagten – nach Art 1 der ABB werden damit die Regelungen im Dokument „Regelungen von Ryanair zu bestimmten Themen“, die von Zeit zu Zeit gültig sind, bezeichnet – mit den Beförderungsbedingungen im Widerspruch zueinander stehen oder nicht (RS0122040 [T24]; 9 Ob 27/21z). Dies widerspricht dem Gebot der Sinnverständlichkeit einer allgemeinen Vertragsbestimmung. Die Klausel ist daher intransparent iSd § 6 Abs 3 KSchG.
10. Die auf Ihrer Bestätigung/Reiseroute oder anderswo verzeichneten Flugzeiten können sich zwischen dem Buchungsdatum und dem Reisedatum ändern. (Pkt 9.1.1. ABB)
Der VKI brachte vor, dass es sich um ein unzulässiges Leistungsänderungsrecht der Beklagten handle (Verstoß gegen § 6 Abs 2 Z 3 KSchG). Eine Beschränkung auf äußere – also außerhalb der Ingerenz der Beklagtengelegene – Umstände nehme die Klausel nicht vor. Das Berufungsgericht hatte die Klage abgewiesen, da hier nach seiner Ansicht eine Tatsachenmitteilung vorliege.
Der OGH führt Folgendes dazu aus:
Das Verständnis eines durchschnittlichen Adressaten orientiert sich in dieser Konstellation nicht bloß am Wortlaut des einzelnen Satzes der Klausel 10, sondern am Kontext des gesamten Punktes 9.1 der ABB. Der Punkt 9.1. hat die Überschrift „Flugpläne“. Der folgende Absatz (Punkt 9.1.2. (= K 11)) wurde bereits vom OLG Wien für unzulässig eingestuft, weil sie ein unzulässiges einseitiges Leistungsänderungsrecht der Beklagten enthielt, das der Beklagten bei kundenfeindlichster Auslegung eine beliebige Änderung der Abflugzeiten ermöglicht. Sie ist auch intransparent, weil für den Verbraucher nicht abschätzbar ist, unter welchen Umständen und in welchem Ausmaß es zu einer Änderung der Flugzeiten kommen könnte.
Der durchschnittliche Adressat nimmt daher an, dass auch die Klausel 10 die Bedingungen seines Vertrags mit der Beklagten regelt und nicht nur eine Wissenserklärung über allgemeine Umstände bei der Durchführung von Flugreisen enthält, zumal die Klausel auch keine Einschränkung auf Umstände vornimmt, die außerhalb der Ingerenz der Beklagten liegen. Sie kann daher im vorliegenden Fall nicht als bloße Tatsachenmitteilung gesehen werden.
Auch diese Klausel enthält ein unzulässiges Leistungsänderungsrecht.
18. Es bestehen keine Höchstbeträge für die Haftung bei Tod oder Verletzung von Fluggästen. Für Schäden bis zu einer Höhe von 113.100 SZR haften wir verschuldensunabhängig, es sei denn, wir können beweisen, dass der Schaden durch die Fahrlässigkeit des verletzten oder verstorbenen Fluggastes verursacht oder mitverursacht wurde. Über diesen Betrag hinausgehende Forderungen können wir durch den Nachweis abwenden, dass wir und unsere Agenten alle nötigen Maßnahmen ergriffen haben, um den Schaden zu vermeiden, oder dass es uns oder ihnen nicht möglich war, solche Maßnahmen zu ergreifen. (Pkt 14.2. ABB)
Nach Art 20 MÜ (= Montrealer Übereinkommen) ist der Luftfrachtführer ganz oder teilweise von der Haftung befreit, wenn er nachweist, dass die Person, die den Schadenersatzanspruch erhebt, oder ihr Rechtsvorgänger den Schaden durch eine unrechtmäßige Handlung oder Unterlassung, sei es auch nur fahrlässig, verursacht oder dazu beigetragen hat.
Ein Hinweis auf eine mögliche Schadensteilung in der Klausel erfolgt nicht, sondern es wird dort vom „Abwenden“ der Forderung gesprochen wird. Auch die Formulierung des zweiten Satzes lässt nicht mit ausreichender Klarheit einen Rückschluss auf eine – ebenso mögliche – bloße Reduzierung der Forderung im Sinne einer Schadensteilung zu.
Angesichts des Wortlauts dieser Klausel, der darauf nicht ausdrücklich Bezug nimmt und betreffend Fluggäste, Schäden und Forderungen zwischen Einzahl und Mehrzahl wechselt, ist auch unklar, ob die darin geregelte Schadensgrenze von 113.100 SZR, wie in Art 21 MÜ vorgesehen, pro Reisendem gelten soll oder nicht.
Schon deshalb ist damit die Klausel zumindest intransparent, weil wesentliche Informationen weggelassen werden und ihr Fehlen geeignet ist, beim Adressaten eine unrichtige Vorstellung von seinen Rechten zu erwecken und ihn von der Verfolgung berechtigter Ansprüche abzuhalten.
20. Nach Artikel 22 des Übereinkommens sind wir für Schäden aus Verspätungen, die Sie selbst oder Ihr Gepäck bei der Luftbeförderung erfahren, nicht haftbar, sofern wir beweisen können, dass unsere Mitarbeiter und Agenten alle zumutbaren Maßnahmen zur Schadensvermeidung ergriffen haben oder die Ergreifung dieser Maßnahmen unmöglich war. Mit Ausnahme von Fällen grober Fahrlässigkeit ist unsere Haftung bei Verspätungsschäden wie folgt begrenzt:
- Für Verspätungsschäden bei der Beförderung von Fluggästen auf 4.694 SZR pro Fluggast
- Für Verspätungsschäden bei der Beförderung von Gepäck auf 1.131 SZR pro Fluggast (Pkt 14.5. ABB)
Eine Klausel, die zwar nur eine geltende Rechtslage wiedergibt, dies aber unvollständig, sodass der Verbraucher einen unrichtigen Eindruck von seiner Rechtsposition bekommen kann, ist intransparent (RS0115219 [T55]). Von einer Verletzung des Transparenzgebots ist auszugehen, wenn eine wesentliche Information weggelassen wird und ihr Fehlen geeignet ist, beim Adressaten eine unrichtige Vorstellung von seinen Rechten zu erwecken und ihn von der Verfolgung berechtigter Ansprüche abzuhalten (vgl 8 Ob 24/17p [ErwGr 3.]).
Nach dem Wortlaut der Klausel soll die Begrenzung der Haftung für Verspätungsschäden lediglich in Fällen grober Fahrlässigkeit nicht gelten. Entgegen der Argumentation des Berufungsgerichts bezieht der durchschnittliche Verbraucher den Begriff „grobe Fahrlässigkeit“ nicht in eindeutiger Weise im Sinne eines Größenschlusses unter Abwägung der Schwere des Verschuldens und der in der Klausel vorgesehenen Rechtsfolge der Haftungsprivilegierung auch auf vorsätzliches Verhalten. Eine entsprechende Verdeutlichung in der Klausel wäre der Beklagten leicht möglich und zumutbar. Die Klausel ist daher geeignet, den Verbraucher von der Geltendmachung eines die Höchstbeträge übersteigenden Verspätungsschadens bei vorsätzlicher Schadensverursachung abzuhalten.
Die Klausel berücksichtigt auch nicht Art 22 Abs 2 MÜ, wonach bei Wertdeklaration des Gepäcks durch den Verbraucher und Entrichtung des verlangten Zuschlags der Luftfrachtführer jedenfalls bis zur Höhe des angegeben Betrags Ersatz zu leisten hat, sofern er nicht nachweist, dass dieser höher ist als das tatsächliche Interesse des Reisenden an der Ablieferung am Bestimmungsort. Auch dies ist geeignet, den Verbraucher von der Geltendmachung eines den Höchstbetrag übersteigenden Verspätungsschadens abzuhalten.
Klagsvertreter: Dr. Stefan Langer, Rechtsanwalt in Wien