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EuGH zum Widerruf nach Vertragsverlängerung

Der EuGH hat zu einem Verfahren, das der VKI im Auftrag des Sozialministeriums führt, Stellung genommen zur Frage, ob Verbraucher:innen nach einer automatischen Vertragsverlängerung eines Fernabsatzvertrages erneut ein Widerrufsrecht zukommt. Das Verfahren führt der VKI gegen eine deutsche Online-Lernplattform.

Konkret ging es um zwei Sachverhaltskonstellationen: Zum einen um den Übergang eines 30tägigen Gratis-Testabos in ein kostenpflichtiges Abo und zum anderen um die automatische Verlängerung eines befristeten Abonnementvertrages.

Der OGH legte folgende Frage dem EuGH vor: „Ist Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/83/EU dahin auszulegen, dass dem Verbraucher bei „automatischer Verlängerung“ (Art. 6 Abs. 1 lit. o der Richtlinie) eines Fernabsatzvertrags neuerlich ein Widerrufsrecht zukommt?“

Der EuGH führt dazu aus:

Das Widerrufsrecht soll den Nachteil ausgleichen, der sich für einen Verbraucher aus einem im Fernabsatz geschlossenen Vertrag ergibt, indem ihm eine angemessene Bedenkzeit eingeräumt wird, in der er die Möglichkeit hat, die gekaufte Ware zu prüfen und auszuprobieren. Die dem Verbraucher gewährte Bedenkzeit ist sowohl beim Verkauf von Waren als auch bei der Erbringung von Dienstleistungen durch dieselben Ziele gerechtfertigt.

Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Dienstleistung 30 Tage lang kostenlos ist und dass sie sich, wenn der Verbraucher während dieser 30 Tage nicht kündigt oder widerruft, für einen befristeten, verlängerbaren Zeitraum in eine entgeltliche Leistung umwandelt. Die Vorlageentscheidung enthält aber keine Angaben dazu, dass eine solche Umwandlung oder Verlängerung des betreffenden Vertrags zu einer Änderung anderer Vertragsbedingungen führen würde. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Art 6 Abs 1 lit e und Art 8 Abs 2 der RL 2011/83 eines der wesentlichen Merkmale eines Fernabsatzvertrags iS dieser Richtlinie der Gesamtpreis der Dienstleistungen ist, die Gegenstand dieses Vertrags sind. Nach Art 6 Abs 1 lit e ist der Unternehmer vor Abschluss eines solchen Vertrags verpflichtet, den Verbraucher über den Preis in klarer und verständlicher Weise zu informieren. Wie aus Art 8 Abs 2 hervorgeht, weist der Unternehmer den Verbraucher, wenn ein auf elektronischem Wege geschlossener Fernabsatzvertrag diesen zur Zahlung verpflichtet, klar und in hervorgehobener Weise, und unmittelbar bevor der Verbraucher seine Bestellung tätigt, auf den Gesamtpreis der Dienstleistungen, die Gegenstand dieses Vertrags sind, hin.

Das Ziel des Rechts des Verbrauchers, einen Fernabsatzvertrag über die Erbringung von Dienstleistungen zu widerrufen, ist erfüllt, wenn der Verbraucher vor Abschluss dieses Vertrags über eine klare, verständliche und ausdrückliche Information über den Preis der Dienstleistungen, die Gegenstand dieses Vertrags sind, verfügt, der entweder ab dem Vertragsabschluss oder ab einem späteren Zeitpunkt wie dem der Umwandlung dieses Vertrags in einen entgeltlichen Vertrag oder seiner Verlängerung um einen bestimmten Zeitraum geschuldet wird.

Auch wenn der Verbraucher beim Abschluss eines Vertrags, der einen kostenlosen Zeitraum der Erbringung von Dienstleistungen vorsieht, vom Unternehmer klar, verständlich und ausdrücklich darüber informiert wird, dass diese Leistung nach dem kostenlosen Zeitraum kostenpflichtig wird, wenn der Vertrag vom Verbraucher während dieses Zeitraums nicht gekündigt oder widerrufen wird, ändern sich also die dem Verbraucher zur Kenntnis gebrachten Vertragsbedingungen nicht. In einem solchen Fall ist es nicht gerechtfertigt, dass der betreffende Verbraucher nach der Umwandlung dieses Vertrags in einen kostenpflichtigen Vertrag neuerlich über ein Widerrufsrecht verfügt. Im Übrigen kann der Verbraucher bei der Verlängerung dieses kostenpflichtigen Vertrags um einen bestimmten Zeitraum auch nicht über ein solches Widerrufsrecht verfügen.

Im vorliegenden Fall ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob der Unternehmer die Verbraucher klar, verständlich und ausdrücklich über den Gesamtpreis der betreffenden Dienstleistungen gemäß der RL informiert hat.

Dagegen wäre bei Fehlen einer transparenten Übermittlung einer solchen Information zum Zeitpunkt des Abschlusses des betreffenden Vertrags der Unterschied zwischen der tatsächlich erteilten Information über die Vertragsbedingungen einerseits und den Vertragsbedingungen nach einer kostenlosen Testphase wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden andererseits so grundlegend, dass nach der kostenlosen Testphase ein neuerliches Widerrufsrecht iSv Art 9 Abs 1 der RL 2011/83 anerkannt werden müsste.

==> Art 9 Abs 1 der Richtlinie 2011/83 ist dahin auszulegen, dass dem Verbraucher das Recht, einen Fernabsatzvertrag zu widerrufen, bei einem Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen, der für den Verbraucher anfangs einen kostenlosen Zeitraum vorsieht, dem sich – falls der Verbraucher den Vertrag in diesem Zeitraum nicht kündigt oder widerruft – ein kostenpflichtiger Zeitraum anschließt, der sich, wenn dieser Vertrag nicht gekündigt wird, automatisch um einen bestimmten Zeitraum verlängert, nur ein einziges Mal zukommt, sofern er beim Abschluss dieses Vertrags vom Unternehmer in klarer, verständlicher und ausdrücklicher Weise darüber informiert wird, dass die Erbringung dieser Dienstleistung nach dem anfänglich kostenlosen Zeitraum kostenpflichtig wird.

EuGH 5.10.2023, C-565/22

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Anmerkung:

Der VKI hatte vier Klauseln eingeklagt und eine nach Ansicht des VKI unzulässige Geschäftspraktik. Bereits nach der zweiten Instanz wurde das klagsstattgebende Urteil zu den vier Klauseln rechtskräftig.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die nach Ansicht des VKI unzulässige Geschäftspraktik. Der VKI hatte dazu geklagt, dass es die Beklagte unterlassen muss, Verbraucher:innen bei Verlängerung eines befristeten Vertragsverhältnisses im Fernabsatz nicht in klarer und verständlicher Weise über die Bedingungen, die Fristen und die Vorgangsweise für die Ausübung des Rücktrittsrechts, dies unter Zurverfügungstellung des Muster-Widerrufsformulars zu informieren.

Die für die Verlängerung zugrundeliegende Klausel wurde bereits für unzulässig erklärt (Verstoß gegen § 6 Abs 1 Z 2 KSchG). Diese lautete: „Ihr Abonnement verlängert sich nach Ablauf automatisch um die ursprünglich vereinbarte kostenpflichtige Laufzeit bzw. im 24—Monats—Abonnement um zwölf Monate, wenn es nicht von s*** oder von Ihnen rechtzeitig in Textform (z.B. per Brief, Fax oder E-Mail) gekündigt wird.“ Verbraucher:innen werden in der Klausel lediglich über die automatische Vertragsverlängerung bei Unterbleiben einer Kündigung innerhalb der Vertragsdauer informiert werde, nicht aber darüber, welche Frist gelte und dass der Verbraucher hierüber zur betreffenden Zeit besonders darauf hingewiesen werde. 

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