Eine österreichische Staatsbürgerin plante mit ihrem Ehemann, der die irakische Staatsbürgerschaft besitzt, einen Kurzaufenthalt in London für Mai 2018 und buchte zu diesem Zweck Flugtickets bei EasyJet. Der Ehemann verfügte über eine von den österreichischen Behörden ausgestellte gültige Aufenthaltskarte, die ihn zur visumsfreien Einreise in die EU-Mitgliedstaaten berechtigte – somit zum damaligen Zeitpunkt auch zur Einreise in Großbritannien. EasyJet war allerdings anderer Ansicht: Zwar könne eine Aufenthaltskarte eine Befreiung von der Visumpflicht darstellen, dies jedoch nicht im Fall des Irakers. Seine Ehefrau ist österreichische Staatsbürgerin und seine Aufenthaltskarte wurde von österreichischen Behörden ausgestellt. Damit liege keine Aufenthaltskarte vor, die zur visumsfreien Einreise nach Großbritannien berechtige. Dazu müsse die Aufenthaltskarte von einem anderen Mitgliedsstaat als jenem, dessen Staatsangehörigkeit seine Ehefrau besitzt, ausgestellt worden sein. EasyJet verweigerte daher dem Iraker die Beförderung; seine Ehefrau blieb mit ihm solidarisch zurück.
Das Recht auf Freizügigkeit
Unionsbürger:innen haben das Recht, sich in der Europäischen Union frei zu bewegen, in jeden anderen Mitgliedstaat einzureisen und sich dort aufzuhalten (sog. Recht auf Freizügigkeit). Die Ausübung des Freizügigkeitsrechts steht unter den Bedingungen und Beschränkungen der Durchführungsvorschriften, in erster Linie der Richtlinie 2004/38/EG, der sogenannten Freizügigkeitsrichtlinie. Die Rechte nach der Freizügigkeitsrichtlinie gelten allerdings nicht nur für jeden Unionsbürger, sondern auch für seine drittstaatsangehörigen Familienangehörigen, die ihn begleiten oder ihm nachziehen. Insofern ist solchen Familienangehörigen eine Aufenthaltskarte auszustellen. Eine solche Aufenthaltskarte dokumentiert nicht nur das Aufenthaltsrecht des Familienangehörigen, sondern entbindet ihn auch von der Visumspflicht bei der Einreise in einen anderen Mitgliedstaat.
Ein Anspruch auf eine solche Aufenthaltskarte des Familienangehörigen besteht daher grundsätzlich nur dann, wenn sich der Unionsbürger, von dem der Familienangehörige sein Aufenthaltsrecht ableiten will, von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, indem er sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begeben hat oder sich dort aufhält. EasyJet war daher der Ansicht, dass eine solche Aufenthaltskarte nur von einem anderen Mitgliedstaats als jenem, dessen Staatsangehörigkeit die Ankerperson besitzt, ausgestellt werden kann.
Das Urteil des OGH
Der OGH urteilte, dass der irakische Staatsbürger im Besitz einer von österreichischen Behörden ausgestellten „Aufenthaltskarte für Angehörige eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers“ und damit zur visumsfreien Einreise in Großbritannien berechtigt war. Ein Aufenthaltsrecht des Familienangehörigen besteht nach der Rechtsprechung des EuGH nämlich auch dann, wenn der Unionsbürger, von dem er sein Aufenthaltsrecht ableitet, wieder in den Mitgliedsstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, zurückkehrt, weil der Unionsbürger sonst davon abgehalten werden könnte, den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, zu verlassen.
Die Karte hätte demnach auch – entgegen der Ansicht von EasyJet – von österreichischen Behörden ausgestellt werden können. Eine Überprüfung der Aufenthaltskarte darf sich darüber hinaus nur auf die Echtheit des Dokuments und die Richtigkeit der darin enthaltenen Angaben sowie auf konkrete Anhaltspunkte erstrecken, die auf einen Rechtsmissbrauch oder Betrug schließen lassen. EasyJet hatte aber keinen Grund zur Annahme, dass die österreichischen Behörden die Aufenthaltskarte ohne Vorliegen der Voraussetzungen ausgestellt hätten. EasyJet hätte dem irakischen Staatsbürger daher nicht die Beförderung verweigern dürfen, da er alle notwendigen Reiseunterlagen vorlegte.
Weiters führte der OGH aus, dass eine unberechtigte Beförderungsverweigerung auch eine Beförderungsverweigerung gegenüber dem mitreisenden Familienmitglied darstellt, wenn dem Mitreisenden die Inanspruchnahme des Flugs nicht zumutbar ist. Im Fall des Ehepaares handelte es sich um eine gemeinsame Urlaubsreise und da der Zweck einer solchen Reise für gewöhnlich gerade darin liegt, gemeinsame Zeit zu verbringen, kam der OGH zum Schluss, dass der Österreicherin die Inanspruchnahme des Flugs ohne ihren Ehemann nicht zumutbar war, weshalb auch ihr Ansprüche aus der Nichtbeförderung gegenüber EasyJet zustehen. EasyJet hat den beiden Konsumenten daher sowohl die Kosten für die Flugtickets zurückzuerstatten als auch eine Ausgleichszahlung in der Höhe von 250,- Euro pro Person zu leisten.
OGH 22.02.2022, 10 Ob 31/21p (rechtskräftig)
Klagsvertreter: Mag. Matthias Strohmayer, LL.M., Rechtsanwalt in Wien
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