Zum Inhalt

Verkürzung über die Hälfte bei Pauschalpreisvereinbarung

In einer aktuellen Entscheidung beschäftigte sich der OGH erstmals mit der Frage, ob eine Pauschalpreisvereinbarung wegen Verkürzung über die Hälfte angefochten werden kann und bejahte dies.

Der klagende Verbraucher erteilte der beklagten GmbH den Auftrag, eine Hausfassade am Haus zu erneuern. Der Werkbesteller legte eine selbst erstellte Leistungsvereinbarung vor, in der ua stand, dass im Einzelnen aufgezählte Leistungen bis 1.7.2018 zu erbringen seien, für welche EUR 2.000,-- zu zahlen sind. Wären die Geschäftsführer der GmbH aufmerksam gewesen, hätten sie aufgrund ihrer Branchenkenntnisse erkennen können, dass die ordnungsgemäße Herstellung dieser angeführten Leistungen um 2.000 EUR nicht möglich ist, sondern die Kosten tatsächlich 9.182,74 EUR brutto betragen. Dies war ihnen bei Unterzeichnung nicht bekannt. Im Frühjahr 2018 nach Beginn der Arbeiten lehnte der Werkunternehmer weiteren Arbeiten zu den in der Leistungsvereinbarung genannten Konditionen ab. Der Verbraucher erklärte in der Folge seinen Rücktritt vom Vertrag und lies das Werk von einem anderen Unternehmer fertigstellen. Dieser verlangte hierfür EUR 9.147,91. Der Werkbesteller klagte auf die Kosten aus dem Deckungsgeschäft (unter Abzug der Sowiesokosten).

Laesio enormis

Die laesio enormis (§ 934 ABGB) knüpft an ein objektives Wertmissverhältnis an, das sich aus dem Vergleich der vertraglich vereinbarten Leistungen ergibt. Hat eine Vertragspartei nicht einmal die Hälfte dessen als Gegenleistung erhalten, was sie selbst hingibt, steht ihr das Gestaltungsrecht (mittels Klage oder auch Einrede) zu, den Vertrag wegen Verkürzung über die Hälfte anzufechten.

§ 934 ABGB ist im bürgerlichen Recht zwingend. Zu Lasten eines Unternehmers ist die Bestimmung dispositiv (§ 351 UGB). Da im vorliegenden Fall die Anwendung des § 934 ABGB nicht vertraglich ausgeschlossen wurde, kann sich auch die GmbH ungeachtet ihrer Eigenschaft als Unternehmerin auf laesio enormis berufen.

Pauschalpreisvereinbarung

Für Pauschalpreisvereinbarungen ist charakteristisch, dass die einzelnen preisbildenden Faktoren nicht offengelegt sind.

Der Kläger hat das von ihm gewünschte Werk rein funktional beschrieben, ohne weitere Angaben wie etwa zu Mengen und Maßen zu machen; der beklagte Werkunternehmer hatte die auszuführenden Leistungen selbst zu kalkulieren. Es liegt ein typischer Fall eines Pauschalvertrags vor.

Bei Werkverträgen haben Pauschalpreisvereinbarungen zur Folge, dass der Unternehmer keine Preiserhöhung fordern darf, auch wenn das Werk mehr Arbeit oder größere Auslagen erfordert als der Werkunternehmer vorhergesehen hatte. Er trägt die Gefahr der Mehrarbeit ebenso wie ihm der ganze Nutzen zufällt, wenn sich die Arbeit als billiger oder leichter herausstellt. § 1170a ABGB ist auf Pauschalpreisvereinbarungen nicht anwendbar.

Laesio enormis bei Pauschalpreisvereinbarung möglich

Auch hinsichtlich der im vorliegenden Fall getroffenen Pauschalpreisvereinbarung ist die Anfechtung wegen laesio enormis zulässig.

Der Ausschluss der laesio enormis nach § 935 dritter Halbsatz ABGB (Kenntnis des Verkürzten vom wahren Wert) kommt hier nicht zur Anwendung. Es steht fest, dass den Geschäftsführern der Bekl bei Unterzeichnung der Leistungsvereinbarung das grobe Missverhältnis zwischen der vereinbarten Werkleistung und dem Werklohn unbekannt war. Der Umstand, dass sich die Bekl davon Kenntnis verschaffen hätten können, ist bedeutungslos.

Auch der Ausschluss nach § 1268 ABGB (Glücksverträge) greift hier nicht. Glücksverträge liegen vor, wenn der Gegenstand des Vertrags die Hoffnung auf einen noch ungewissen Vorteil ist, nicht aber schon dann, wenn mit dem Abschluss eines Vertrags ein Risiko oder eine Chance verbunden ist. Es liegt kein Glücksvertrag vor, weil bei entsprechender Sachkenntnis und Aufmerksamkeit das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung von vornherein bestimmbar und erkennbar gewesen wäre.

Die Rsp wendet den in § 1268 ABGB normierten Ausschluss der laesio enormis analog auf glückspielähnliche Verträge mit bedeutsamen aleatorischen Elementen an, weil davon auszugehen ist, dass die Risiken von den Parteien bewusst übernommen wurden und daher die Geltendmachung der laesio enormis (konkludent) ausgeschlossen ist. Auch dieser Anfechtungsausschluss kommt hier nicht zum Tragen, weil sich hier nicht ableiten lässt, dass die Beklagten das Risiko des Materialbedarfs und der erforderlichen Arbeitsleistungen bewusst übernehmen wollten.

Die Anfechtung der in concreto von den Parteien getroffenen Pauschalpreisvereinbarung mit Leistungsinhalten wegen Verkürzung über die Hälfte (§ 934 ABGB) ist möglich.

Zur einredeweisen Geltendmachung der laesio enormis nach Erklärung des Vertragsrücktritts

Laesio enormis kann mittels Klage, aber auch mittels Einrede geltend gemacht werden. Beide Rechtsbehelfe sind jeweils auf die Aufhebung des Vertrags gerichtet. Erst das rechtsgestaltende Urteil des Gerichts hebt den Vertrag auf. Die Aufhebung beseitigt nicht nur die Rechtswirkung des Vertrags rückwirkend ex tunc, sondern wirkt sich auch dinglich ex tunc aus.

Der begründete und wirksame Rücktritt vom Vertrag (§ 918 Abs 1 ABGB) hat zwar ebenfalls die Auflösung des Vertrags – allerdings mit obligatorischer Wirkung – zwischen den Vertragsparteien ex tunc zur Folge. Der Rücktritt wirkt (für sich genommen) jedoch nicht sachenrechtlich. Es besteht lediglich ein schuldrechtlicher Anspruch auf Rückübereignung. Schadenersatzrechtlich ist trotz obligatorischer Ex-tunc-Vertragsauflösung der Nichterfüllungsschaden zu ersetzen.

Ist die Rücktrittserklärung des Klägers  wirksam erfolgt, hatte diese Erklärung die oben beschriebenen (schuldrechtlichen) Folgen. Ist jedoch die Einrede der laesio enormis erfolgreich, gilt der Werkvertrag als nicht zustande gekommen.

Der OGH löst diese Frage wie folgt: Ein Werkunternehmer kann auch nach dem rechtswirksamen Vertragsrücktritt des Werkbestellers (§ 918 Abs 1 ABGB) der auf den Ersatz des Nichterfüllungsschadens gerichteten Schadenersatzklage (§ 921 ABGB) die Einrede der laesio enormis erfolgreich entgegenhalten.

Die  Klage wurde abgewiesen.

OGH 30.3.2021, 10 Ob 3/21w

Zum News.

Diesen Beitrag teilen

Facebook Twitter Drucken E-Mail

Das könnte auch interessant sein:

Vergleichsangebot von Aurena beseitigt laut OLG Graz die Wiederholungsgefahr

Vergleichsangebot von Aurena beseitigt laut OLG Graz die Wiederholungsgefahr

Der VKI hatte im Auftrag des Sozialministeriums insgesamt 27 Klauseln aus den AGB der Aurena GmbH – einem Veranstalter von Online-Versteigerungen – abgemahnt. Die Aurena GmbH war in Folge bereit, zu 22 Klauseln eine Unterlassungserklärung abzugeben, bestritt aber die Gesetzwidrigkeit der übrigen fünf Klauseln, woraufhin der VKI eine Verbandsklage einbrachte. Zentrales Thema im Verfahren um diese Klauseln war die Frage, ob Verbraucher:innen bei einem Kauf im Rahmen einer Auktion der Aurena GmbH ein Rücktrittsrecht haben. In den AGB wurde ein solches Rücktrittsrecht ausgeschlossen. Während das LG Leoben dem VKI zur Gänze recht gab und die fünf eingeklagten Klauseln für gesetzwidrig erklärte, war das OLG Graz als Berufungsgericht der Ansicht, dass die von der Aurena GmbH angebotene Unterlassungsverpflichtung trotz der vorgenommenen Einschränkung die Wiederholungsgefahr beseitigen würde. Die ordentliche Revision wurde nicht zugelassen. Das Urteil ist rechtskräftig.

„Zufriedenheits“-Garantie

„Zufriedenheits“-Garantie

Eine „gewerbliche Garantie“ kann sich auch auf subjektive Umstände der Verbraucher:innen wie die in ihr Belieben gestellte Zufriedenheit mit der erworbenen Ware beziehen, ohne dass das Vorliegen dieser Umstände für die Geltendmachung der Garantie objektiv geprüft werden müsste.

unterstützt durch das

Sozialministerium
Zum Seitenanfang